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Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Titel: Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie
Autoren: Karin Fossum
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hatte er ein Leben lang geschafft, und in einer Großstadt waren die Menschen an Reisende gewöhnt. Aber es war schon Abend und zu spät für einen solchen Anruf. Also blätterte er noch einmal in »Die Völker dieser Erde«. Lange starrte er die indische Schönheit an. Daß eine Frau so wunderbar schön sein konnte, so golden und glatt, so zauberhaft zart. Mit einer schmächtigen Hand hielt sie ihren Schal unter dem Kinn zusammen. Ihr Handgelenk zierten viele Armreifen. Ihre Iris war fast schwarz, und darin flackerte ein Blitz auf, vielleicht kam der von der Sonne. Und die Frau starrte Gunder an. Schaute in seine sehnsuchtsvollen Augen. Die waren groß und blau, und jetzt schloß er sie. Sie begleitete ihn in seinen Traum. Er schlief im Sessel ein und ließ sich mit der goldenen Schönheit davontragen. Sie wog nichts. Ihr blutroter Sari wehte sanft vor seinem Gesicht.
     
    Er beschloß, vom Büro aus anzurufen, in der Mittagspause. Von dem leerstehenden Büroraum aus, der nur selten benutzt wurde. Der zum Lager ernannt worden war. An den Wänden waren Kartons voller Ordner und Papiere aufgestapelt. Ein buntes Plakat an der Wand zeigte einen braungebrannten Mann, der auf einem Feld auf seinem Traktor saß. Dieses Feld war so groß, daß es wie das Meer im hellen Blau des Horizonts verschwand. Ohne Bauern bleibt Norwegen stehen, stand auf dem Plakat. Gunder wählte die Nummer. »Wenn Sie ins Ausland wollen, drücken Sie die Zwei«, sagte die Tonbandstimme. Er drückte die Zwei und wartete. Eine neue Stimme meldete sich zu Wort. »Sie stehen auf Warteplatz neunzehn. Bitte warten Sie.« Diese Mitteilung wurde viele Male wiederholt. Er kritzelte auf seinem Schreibblock herum. Versuchte es mit einem indischen Drachen. Durch das Fenster sah er, daß ein Auto angefahren kam. »Sie stehen auf Warteplatz sechzehn, zehn, acht.« Er hatte das Gefühl, auf eine wichtige Entscheidung zuzustürzen. Sein Herz schlug schneller, und er strichelte energischer an seinem mißlunge nen Drachen herum. Plötzlich sah er, wie Bauer Svarstad aus seinem schwarzen Ford stieg. Svarstad war ein Stammkunde und wollte immer von Gunder bedient werden, außerdem mochte er nicht warten. Es eilte also. Jetzt strömte Musik aus dem Hörer und eine Stimme verkündete, daß er gleich »zum nächsten Sachbearbeiter oder zur nächsten Sachbearbeiterin« durchgestellt werden würde. Doch in diesem Moment platzte Bjørnsson ins Zimmer, einer der jungen Kollegen.
    »Svarstad«, sagte er, »fragt nach dir. Wieso sitzt du eigentlich hier«, fügte er hinzu. Mißtrauisch.
    »Bin gleich fertig. Mach solang Konversation mit ihm. Ist doch schönes Wetter.« Er lauschte in den Hörer. Eine Frauenstimme meldete sich.
    »Der zeigt mir doch bloß den Arsch und furzt mir in die Visage«, sagte Bjørnsson. Gunder machte eine abweisende Handbewegung. Endlich begriff Bjørnsson und verschwand. Svarstads unzufriedenes Gesicht erschien am Fenster. Sein kurzer Blick auf die Uhr bedeutete, daß er nicht endlos warten wollte, und daß es ihm überhaupt nicht paßte, daß die Angestellten dieser Firma in diesem Moment nicht nach seiner Pfeife tanzten.
    »Also, es ist so«, sagte Gunder. »Ich möchte nach Bombay. In Indien. In vierzehn Tagen.«
    »Wollen Sie von Gardermoen aus fliegen?« fragte die Stimme.
    »Ja. Am Freitag in zwei Wochen.«
    Er hörte, wie ihre Finger über eine Tastatur jagten und staunte darüber, wie schnell das ging.
    »Dann nehmen Sie die Maschine um zehn Uhr fünfzehn nach Frankfurt am Main«, sagte sie. »Von Frankfurt geht es dann um dreizehn Uhr zehn weiter. Sie landen um null Uhr vierzig Ortszeit.«
    »Ortszeit«, wiederholte Gunder verwundert. Die ganze Zeit machte er sich in rasendem Tempo Notizen.
    »Der Zeitunterschied beträgt drei Stunden und dreißig Minuten«, erklärte die Frau.
    »Ach so. Ja, dann möchte ich buchen. Was kostet das?«
    »Hin und zurück?«
    Er zögerte kurz. Und wenn sie nun zu zweit zurückflögen? Das hoffte, davon träumte, danach sehnte er sich doch.
    »Kann ich später noch umbuchen?«
    »Aber natürlich.«
    »Dann nehme ich hin und zurück.«
    »Das kostet sechstausendneunhundert Kronen. Sie können das Ticket am Flughafen abholen, wir können es Ihnen aber auch zuschicken. Was ist Ihnen lieber?«
    »Schicken«, sagte er sofort. Und nannte Namen und Adresse. Blindveien 2.
    »Noch eine Kleinigkeit«, sagte die Frau plötzlich. »Die Stadt heißt nicht mehr Bombay.«
    »Nicht?« fragte Gunder verwundert.
    »Sie heißt
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