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Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Titel: Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie
Autoren: Karin Fossum
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zwölf Millionen Einwohnern!«
    »Ich bin kein Landei«, sagte Gunder beleidigt.
    »Natürlich bist du eins«, sagte Marie. »Du bist ein Landei, das ist doch klar. Aber das ist noch nicht alles: Wenn du in der Stadt unterwegs bist, darfst du nicht langsam herumschlendern.«
    »Warum das denn nicht?« fragte er erstaunt.
    »Du mußt marschieren, wie zu einem wichtigen Termin, und beschäftigt aussehen. Du bist Geschäftsmann auf wichtiger Dienstreise, und vor allem: Du kennst dich in Bombay aus wie in deiner eigenen Westentasche.«
    »In Mumbai«, korrigierte er. »Wie in meiner Westentasche?«
    »Du schaust den Leuten in die Augen, wenn sie dir auf der Straße entgegenkommen. Du gehst mit energischen Schritten geradeaus. Und knöpf deine Jacke so zu, daß die Tasche nicht zu sehen ist.«
    »Da unten kann ich keine Jacke tragen«, sagte er. »Um diese Jahreszeit haben die da vierzig Grad.«
    »Das mußt du aber«, sagte Marie. »Du mußt dich vor der Sonne schützen.« Sie leckte sich einen Klacks Sauerrahm aus dem Mundwinkel. »Sonst mußt du dir einen Kittel zulegen.«
    »Einen Kittel?« Gunder kicherte.
    »Wo wirst du wohnen?« fragte seine Schwester jetzt.
    »Im Hotel natürlich.«
    »Ja, aber in welchem?«
    »Einem guten.«
    »Aber wie heißt es?«
    »Keine Ahnung«, sagte Gunder. »Das erfahre ich, wenn ich dort bin.«
    Sie riß die Augen auf. »Hast du kein Zimmer reserviert?«
    »Ich kann schließlich reden«, sagte er, inzwischen leicht verärgert. Er schaute rasch zu ihr hinüber, auf ihre weiße Stirn und die dünnen Augenbrauen, die sie mit einem Stift schwarz nachzog.
    »Laß hören«, sagte sie und schlürfte Kaffee. »Laß hören, was du sagst. Du kommst aus diesem riesigen, unübersichtlichen, überhitzten, überfüllten, chaotischen Flughafen und hältst Ausschau nach einer Rikscha oder noch Schlimmerem. Da kommt ein Typ zu dir, packt dich am Hemd, brabbelt etwas ganz und gar Unverständliches, macht sich über deinen Koffer her und rennt damit zu irgendeinem Vehikel. – Und du bist so erschöpft und verschwitzt und verwirrt, daß du dich kaum noch an deinen Namen erinnern kannst, und deine Uhr geht wegen des Zeitunterschiedes falsch. Du bist müde und sehnst dich nach einer kalten Dusche. Aber was sagst du dann, Gunder. Zu dem kleinen dunklen Mann.«
    Vor Entsetzen ließ er seinen Löffel fallen. Wollte sie sich über ihn lustig machen?
    Dann riß er sich zusammen und schaute seiner Schwester ins Gesicht.
    »Would you please take me to a decent hotel?«
    Marie nickte. »Ja, ja. Aber was machst du davor?«
    »Keine Ahnung«, sagte Gunder.
    »Du fragst, was es kostet. Du darfst dich nicht in ein Taxi setzen, ohne vorher den Preis ausgehandelt zu haben. Frag auf dem Flughafen. Vielleicht hat die Lufthansa da einen Schalter, die sind sicher auf deiner Seite.«
    Er schüttelte den Kopf und beschloß, daß sie nur neidisch auf ihn war. Sie war noch nie in Indien gewesen. Sondern nur auf Lanzarote und Kreta und so. Wo alle Gäste aus Norwegen oder Schweden stammten und die Kellner ihr »hej, svenska flicka« hinterherriefen, was sie schrecklich fand. Nein, Indien war etwas anderes.
    »Und was ist mit Impfungen?« fragte sie. »Mußt du dich gegen Malaria impfen lassen?«
    »Keine Ahnung«, sagte er.
    »Du mußt dich ganz schnell erkundigen. Du kommst mir nicht mit Malaria oder Tuberkulose oder Hepathitis nach Hause, das sag ich dir. Und kein Leitungswasser trinken. Und keinen Saft. Und kein Obst essen. Paß auf, daß das Fleisch gut durchgebraten ist. Und verzichte auf Eis, obwohl du so gern Eis ißt, was ja auch in Ordnung ist, aber nicht in Indien.«
    »Darf ich einen Schnaps trinken?« fragte er spitz.
    »Soviel du willst. Aber nicht zuviel. Denn dann ist die Hölle los.«
    »Ich betrinke mich nie«, sagte Gunder. »Ich war vor fünfzehn Jahren zuletzt betrunken.«
    »Das weiß ich. Und du rufst doch an? Ich muß wissen, daß du heil angekommen bist. Ich kann die Post für dich hereinholen. Und Blumen gießen. Der Rasen muß in den vierzehn Tagen sicher zweimal gemäht werden. Den Safe bringst du zu uns, ja? Dann führt er hier niemanden in Versuchung. Willst du den Wagen am Flughafen abstellen? Das kostet doch sicher ein Vermögen.«
    »Weiß nicht«, sagte er.
    »Das weißt du nicht? Aber du mußt einen Dauerparkplatz vorher bestellen«, erklärte sie aufgeregt. »Du mußt morgen anrufen. Du kannst doch nicht einfach nach Gardermoen fahren und den Wagen irgendwo stehenlassen.«
    »Nicht?« fragte er.
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