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Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Titel: Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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Gunder mit dem Auto losfuhr oder irgendwo anhielt. Er war wie benommen. Die Sache mit Poona, alles, was in Indien geschehen war, war vielleicht nur ein Traum gewesen. Etwas, das er sich in Tandels Tandoori zusammenphantasiert hatte. Wer fuhr denn in ein fremdes Land und las eine Frau auf, wie andere im Herbst Fallobst auflesen? Sicher ist das Buch daran schuld, dachte er, »Die Völker dieser Erde«, das hat mir Grillen in den Kopf gesetzt. Er sah den roten Buchrücken im Regal an. Zwang sich, aufzustehen und Licht zu machen. Schaltete den Fernseher ein. In einer halben Stunde würde es Nachrichten geben. Zugleich hatte er Angst, er wollte nicht mehr wissen. Aber das mußte er! Sie würden etwas sagen, das Poona ausschloß. Die Tote stammt aus China, wie wir jetzt wissen. Oder aus Nordafrika. Die Tote, die Anfang Zwanzig ist, die bisher noch nicht identifizierte Tote, hat eine äußerst ungewöhnliche Tätowierung, die den ganzen Rücken bedeckt.
    Seine Phantasie ging mit ihm durch. Draußen war alles still.
     

KONRAD SEJERS MARKANTES GESICHT 
    zeigte immer einen korrekten Ausdruck. Nur wenige hatten ihn jemals herzhaft lachen gesehen, noch weniger hatten ihn wütend erlebt. Dennoch lag eine Spannung in seinen Zügen, eine Wachsamkeit in den grauen Augen, die von Ernst, Interesse und Glut zeugte. Er hielt seine Kollegen auf Distanz. Die Ausnahme bildete Jacob Skarre. Sejer war gut zwanzig Jahre älter als Skarre. Trotzdem wurden diese beiden immer wieder ins Gespräch vertieft beobachtet. Skarre kaute dann auf einem Gummibärchen herum, Sejer lutschte ein Fisherman’s Friend. Skarre war außerdem der einzige auf der Wache, der den Hauptkommissar nach Feierabend zu einem Bier überreden konnte. Und dazu noch an einem gewöhnlichen Werktag. Manche hielten Sejer für eigenwillig und arrogant. Skarre wußte, daß er schüchtern war. Ein seltsamer Zug, der sich auch darin zeigte, daß er im Beisein von Kollegen immer mit »Skarre« angeredet wurde. Nur unter vier Augen mit Sejer hieß er Jacob.
    Jetzt blieb Sejer vor einem Wasserhahn stehen. Beugte sich über den Strahl und schlürfte das kalte Wasser. Er empfand eine leichte Unruhe. Der Mann, den er suchte, konnte sich als sympathischer Mensch erweisen. Mit denselben Träumen und Wünschen im Leben, die er selber gehabt hatte. Einmal war dieser Mann ein Kind gewesen. Jemand hatte ihn sehr geliebt. Er hatte Bindungen gehabt, Pflichten und Verantwortungen, und eine Stellung in der Gesellschaft, die er jetzt bald verlieren würde. Sejer ging weiter. Sich selber und seinen eigenen Angelegenheiten opferte er nicht viele Gedanken. Aber hinter seiner korrekten Erscheinung verbarg sich eine heftige Neugier auf Menschen. Darauf, wer sie waren, warum sie sich so verhielten. Wenn er den Schuldigen fand und begreifen konnte, warum der sich zu seinem Vorgehen gedrängt gefühlt hatte, konnte er die Akten schließen und ins Archiv geben. Nur war er sich diesmal sehr unsicher. Die Frau war nicht einfach nur umgebracht worden, ihr Mörder hatte sie zerstört und zerfetzt. Ein Leben zu beenden, war an sich schon dramatisch genug. Danach noch den Leichnam zu mißhandeln, war bestialisch. Er machte sich allerlei widersprüchliche Gedanken um den Begriff Kriminalität, vor allem ging es ihm um alles, was sie noch nicht wußten. In seinem Leben gab es eine Frau, die Psychiaterin Sara Struel. Sie kam in seine Wohnung und ging, wie sie wollte, sie hatte ihren eigenen Schlüssel. Er empfand immer eine leise Spannung, wenn er die dreizehn Treppen in seinem Block hochstieg und fast oben angekommen war. Er konnte durch den kleinen Spalt zwischen Tür und Rahmen sehen, ob sie da war oder nicht. Außerdem hatte er den Hund Kollberg. Der war seine eigene private Ausschweifung. Nachts kam es vor, daß das riesige Tier sich in sein Bett stahl. Sejer stellte sich dann schlafend und schien nichts zu bemerken. Doch Kollberg wog siebzig Kilo, die Matratze geriet arg ins Schlingern, wenn er sich am Fußende ausbreitete.
    Sejer schaute im Wachzimmer vorbei und nickte Skarre und Soot, der am Hinweistelefon saß, kurz zu.
    »Wissen wir, wer sie ist?«
    »Nein.«
    Er schaute auf die Armbanduhr. »Wer ruft an?«
    »Vor allem PR-geile Leute.«
    »Das gehört dazu. Sonst was Interessantes?«
    »Autos. Zwei Personen haben einen roten Wagen in Richtung Hvitemoen fahren sehen. Eine Person sah ein schwarzes Taxi in hohem Tempo in Richtung Stadt düsen. In der Gegend ist fast kein Verkehr, abgesehen von der Zeit

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