Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie
zwischen vier und sechs. Einige haben sich über die Presseleute beklagt. Sonst was Neues?«
»Die Berichte über die Hausbefragungen werden gerade geschrieben. Alle Proben sind unterwegs ins Labor«, sagte Sejer. »Und sie wollen sie sich sofort vornehmen. Wir haben vierzig Leute an der Arbeit. Den kriegen wir schon.«
Er prüfte die Liste der eingegangenen Anrufe. Die Nummern begannen alle mit denselben vier Ziffern, was bedeutete, daß die meisten in Elvestad oder Umgebung wohnten. Während er noch da stand, klingelte das Telefon wieder. Skarre drückte auf den Lautsprecherknopf. Eine Stimme hallte durch den Raum.
»Ja, ich rufe aus Elvestad an. Ich heiße Kalle Moe. Spreche ich mit der Polizei?«
»Das tun Sie.«
»Es geht um diese Sache auf Hvitemoen.«
»Ich höre.«
»Es geht um einen Freund von mir. Oder, sagen wir, um einen Bekannten. Einen richtig anständigen Burschen, ich fühle mich also nicht ganz wohl, ich möchte ihm keine Schwierigkeiten machen.«
»Aber Sie rufen trotzdem an. Können Sie uns helfen?«
Sejer prägte sich die Stimme des Mannes ein. Der Anrufer war nicht mehr der jüngste und sehr nervös.
»Vielleicht. Verstehen Sie, das ist so, daß dieser Bekannte, also, der lebt hier draußen allein, schon seit vielen Jahren. Vor einiger Zeit hat er Urlaub gemacht. In Indien.«
Bei dem Wort Indien wurde Sejer hellwach.
»Ach ja?«
»Und dann ist er wieder nach Hause gekommen.«
Skarre wartete. Der Anrufer schwieg eine Weile. Soot schüttelte resigniert den Kopf.
»Dann, am 20. August, am Nachmittag, hat er mich angerufen, weil er Hilfe brauchte.«
»Er brauchte Hilfe?« fragte Skarre, um die träge Geschichte ein wenig in Gang zu bringen.
»Seine Schwester lag nach einem Autounfall im Krankenhaus. Mit schweren Verletzungen.«
Wieder legte der Mann eine Pause ein. Skarre verdrehte die Augen. Sejer legte einen Finger vor seine Lippen.
»Er mußte natürlich sofort hinfahren und an ihrem Bett Wache halten. Das ist wirklich schrecklich. Aber dann hat er mich also angerufen, weil er eigentlich nach Gardermoen mußte.«
»Nach Gardermoen«, wiederholte Skarre neugierig.
»Er erwartete Besuch aus dem Ausland. Und stellen Sie sich vor, da hat er erzählt, daß er in den vierzehn Tagen in Indien doch tatsächlich geheiratet hat.«
Skarre lächelte. Die Reaktion des Anrufers auf ein dermaßen ungewöhnliches Ereignis machte sich in einem begeisterten Crescendo Luft.
»Ich sollte also diese Frau abholen, mit anderen Worten, seine Frau. Seine indische Frau.«
Sejer und Skarre tauschten einen Blick.
»Was Sie nicht sagen«, Skarre lächelte, von dieser Begeisterung angesteckt.
»Aber das war nun so, daß ich sie nicht gefunden habe.«
Die drei Männer hörten äußerst konzentriert zu. Der Mann verwickelte sich immer weiter in seine umständlichen Geschichte. Sie konnten schon ahnen, daß das hier wichtig war, der erste Schritt zur Lösung.
»Sie sollte um sechs landen«, sagte die Stimme. »Aber sie ist nicht aufgetaucht.«
»Warum ruft Ihr Bekannter nicht selber an?« fragte Skarre.
»Das macht mir ja gerade solche Sorgen. Ich habe ihn vorhin angerufen, weil ich wissen wollte, ob sie gekommen ist. Vielleicht mit einem anderen Taxi. Verstehen Sie, ich fahre in Elvestad Taxi. Meins ist das einzige«, fügte er hinzu. »Oder ob sie in ein Hotel gegangen ist oder so. Und er hat sehr ausweichend geantwortet. Ich glaube, er wagt nicht, diesen Gedanken zu denken. Er ist irgendwie nicht ganz er selbst, das ist sicher zuviel für ihn, das mit seiner Schwester und überhaupt. Und deshalb rufe ich an.«
»Wie heißt er?« fragte Skarre und griff nach einem Stift.
»Gunder Jomann. Er wohnt einige Kilometer vom Ortskern von Elvestad entfernt, im Blindvei 2. Im einzigen Haus. Ich weiß nicht, ob er jetzt zu Hause ist, vielleicht ist er im Krankenhaus. Aber, wie gesagt, ich mache mir Sorgen. Vielleicht hat sie versucht, auf eigene Faust zu ihm zu kommen, nachdem er sie nicht abgeholt hat, wie er das versprochen hatte. Und dann ist ihr unterwegs etwas passiert.«
»Ich verstehe«, sagte Skarre. »Wissen Sie ihren Namen?«
»Ja«, sagte der Anrufer. »Der steht irgendwo auf einem Zettel. Aber jetzt habe ich ein anderes Hemd an. Ich hatte ihn in die Brusttasche gesteckt.«
»Können Sie ihn holen?« fragte Skarre.
»Vielleicht ist das Hemd in der Waschmaschine. Ach, verflixt«, sagte der Anrufer. »Sie werden ihn doch jetzt nicht sofort überfallen? Vielleicht habe ich mich ja auch
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