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Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Titel: Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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einige Zeit, bis Ihr Schwager kommt. Wir können Sie in einer Stunde wecken, wenn Sie wollen. Und essen müssen Sie auf jeden Fall.«
    Er starrte zu dem anderen Bett hinüber. »Es hilft Ihrer Schwester wirklich nicht, wenn Sie sich kaputtmachen«, sagte Ragnhild freundlich. Die andere schwieg. Sie riß geräuschvoll ein Fenster auf. Ihre Bewegungen waren kantig und energisch. Er stellte sich vor, wie er in dem Bett einschlief und von dieser schwarzen Hexe geweckt wurde.
    »Sie haben zu entscheiden«, sagte Ragnhild. »Aber wir sind schließlich auch noch da.«
    »Ja«, sagte Gunder.
    Dann gingen die beiden. Er schaute auf das Tablett. Graubrot. Er nahm das Tablett und ließ es auf seinen Knien balancieren. Aß langsam. Die Brote schmeckten, und darüber staunte er. Danach wurde er schläfrig. Rasch trank er zwei Tassen Kaffee, spürte die heiße Flüssigkeit in seiner Kehle brennen. Es war guter Kaffee. Das Beatmungsgerät arbeitete. Maries Hände sahen auf der weißen Bettdecke gelblich aus. Er stellte das Tablett auf einen Tisch vor dem Fenster. Setzte sich für einen Moment auf die Bettkante. Vielleicht war Poona jetzt gekommen. Vielleicht wartete sie zu Hause im Blindvei auf ihn. Die Tür ist nicht abgeschlossen, dachte er dann. Daß er etwas so Untypisches getan hatte, wie die Haustür nicht abzuschließen! Er rieb sich die Augen. Streifte die Schuhe ab. Drehte sich um und musterte die weiße Decke mit den scharfen Kniffen. Nur einen Moment hinlegen, dachte er. Er fühlte sich steif und starr nach der langen Zeit auf dem Stuhl. Er legte sich hin und schloß die Augen. Gleich darauf war er eingeschlafen.
     
    Er fuhr aus dem Schlaf hoch. Karsten stand vor ihm und sah ihn an. Gunder setzte sich so schnell auf, daß ihm schwindlig wurde und er sich hilflos wieder sinken lassen mußte.
    »Ich wollte dich nicht erschrecken.«
    Sein Schwager sah müde aus. »Ich sitze schon eine Weile hier. Sie haben mir alles erklärt. Du bist sicher kaputt?«
    Gunder setzte sich wieder auf, diesmal ganz behutsam.
    »Nein. Ich war heute nacht zu Hause. Aber ich habe im Sessel geschlafen. Ich muß eingenickt sein«, sagte er verwirrt.
    »Du hast lange geschlafen.« Karsten bewegte hilflos seine Hände. »Du kannst ruhig nach Hause fahren, Gunder. Ich bin ja jetzt da. Ich bleibe heute nacht hier.«
    Sie wechselten einen Blick. Karsten sah älter aus als sonst, als er sich auf den Stuhl vor der Wand setzte. »Ich weiß nicht, wie das alles enden soll«, murmelte er. »Was soll denn werden, wenn ihr Kopf zerstört ist? Was soll dann aus uns werden?«
    »Das wissen sie noch nicht«, sagte Gunder.
    »Aber wenn sie für immer so liegen muß?« Er schlug die Hände vors Gesicht.
    »Sie glauben, daß sie wieder zu sich kommt«, sagte Gunder.
    »Haben sie das gesagt?«
    »Ja.«
    Karsten betrachtete den Bruder seiner Frau schweigend. Auf dem Boden standen sein Koffer und eine Aktentasche.
    »Wir waren mit dem Boot unterwegs«, murmelte er. »Und ich hatte das Telefon ausgeschaltet.«
    »Alles klar«, sagte Gunder. »Quäl dich deshalb nicht.« Weil sein Schwager gekommen war, und weil er sich ausgeruht hatte, fühlte Gunder sich besser. Mit der Klarheit kehrte auch der Gedanke an Poona zurück. Und die Erinnerung an die Tote von Hvitemoen.
    »Und du warst in Indien«, sagte Karsten. »Hast dir eine Frau zugelegt und überhaupt. Sie ist sicher jetzt eingetroffen?«
    Seine Stimme klang verlegen.
    »Hast du Nachrichten gehört?« fragte Gunder angespannt.
    Sein Schwager schüttelte den Kopf.
    »Draußen in Hvitemoen ist ein Mord geschehen. Eine Ausländerin. Sie wissen nicht, wer sie ist.«
    Der Schwager staunte über diese seltsame Abschweifung. Gunder dagegen sank in sich zusammen und schlug die Hände vors Gesicht.
    »Du. Ich muß dir etwas sagen.«
    »Ja?« fragte Karsten.
    Die Tür wurde aufgerissen und die dunkle Saure kam hereingefegt.
    »Nein, das hat Zeit.« Gunder sprang auf und knöpfte seine Jacke zu.
    »Fahr jetzt nach Hause und ruh dich aus«, sagten Karsten.
     
    Bei der Auffahrt zum Haus hielt er an. Starrte durch die Windschutzscheibe. Ohne seine eigenen Motive zu kennen, fuhr er dann weiter nach Hvitemoen. Er wollte langsam an diesem Ort vorüberfahren, von dem alle redeten. Er wußte genau, wo der lag. Auf der anderen Wiesenseite führte ein Karrenweg hinunter zum See. Dieser See hieß Norevann. Als Junge hatte er dort zusammen mit Marie gebadet. Genauer gesagt, sie hatte gebadet. Er selber hatte im seichten Wasser

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