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Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Titel: Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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seinen Rechten als Ehemann zu sprechen oder die norwegischen und die indischen Gesetze oder sein eigenes blutendes Herz zu erwähnen. Er war ohnmächtig.
    »Ich habe eine Bitte«, sagte er endlich. Seine Stimme trug fast nicht. »Nur einen einzigen Wunsch. Daß Sie zu meinem Haus kommen und Poonas Heim sehen. Das ich ihr geben wollte.«
    Bai antwortete nicht. Sein Gesicht war hart. Gunder senkte den Kopf. Skarre blickte Shiraz Bai eindringlich an. Seine Frage klang wie eine Mitteilung, fast schon wie ein Befehl.
    »Wollen Sie Mr. Jomanns Haus sehen? Es ist wichtig für ihn, es Ihnen zu zeigen.«
    Bai zuckte mit den Schultern. Gunder wünschte, der Boden möge sich auftun, und er selber in eine endlose Finsternis stürzen, vielleicht bis hinab zu Poona. Und endlich Frieden finden. Weg von diesem unfreundlichen Mann mit dem wütenden Gesicht. Und allem, was so schwer war. Marie, die vielleicht nach dem Erwachen wie eine Idiotin sabbern würde. In seinem Kopf drehte sich alles. Ich falle in Ohnmacht, dachte er. Zum ersten Mal in meinem Leben falle ich in Ohnmacht. Aber das tat er nicht. Er spürte, wie sein Gesicht sich verschloß und hart wurde.
    »Would you like to see Mr. Jomann’s house?« fragte Skarre noch einmal. Er sprach jetzt übertrieben deutlich, wie mit einem Kind.
    Endlich nickte Bai, ein gleichgültiges Nicken.
    »Wir fahren jetzt gleich«, sagte Gunder nervös und sprang vom Stuhl auf. Er mußte eine wichtige Aufgabe erledigen und handeln, solange er sich dazu in der Lage sah. Bai zögerte.
    »We go in my car«, sagte Gunder eifrig. »I take you back to hotel.«
    »Ist Ihnen das recht?« fragte Skarre und sah Bai an, der noch einmal nickte. Dann gingen die beiden Männer nebeneinander über den Flur. Der schwere, breite Gunder mit dem fast kahlen Schädel, und der dunkle, magere Bai mit seiner blauschwarzen Mähne.
    Skarre betete leise, daß Bai sich erweichen lassen möge. Manchmal wurden seine Gebete erhört.
    Er ging zurück zu Sejer und fischte eine Tüte Gummibärchen aus der Tasche. Es raschelte, als er die Tüte aufriß.
    »Hast du noch immer deinen Glauben?« fragte Sejer freundlich und musterte ihn eindringlich.
    Skarre nahm ein Gummibärchen aus der Tüte.
    »Die grünen sind die besten«, sagte er ausweichend.
    »Der ist vielleicht inzwischen ein bißchen verschlissen, oder?«
    »Als ich klein war«, sagte Skarre gelassen, »habe ich immer ein Gummibärchen in den Mund gesteckt und ein paar Minuten dort liegenlassen. Dann habe ich es wieder herausgenommen, und es war ganz durchsichtig, wie Gelee. Und dann schmeckte es noch besser«, fügte er nachdenklich hinzu.
    Er lutschte ewig an seinem Gummibärchen und zog es dann aus dem Mund. »Schau nur.«
    Es baumelte zwischen seinen Fingern und war durchsichtig.
    »Feigling«, sagte Sejer lächelnd.
    »Und du?« fragte Skarre und sah seinen Chef an. »Wie hältst du’s mit der Kraft?«
    »Ich verstehe nicht?«
    Er hob die Augenbrauen.
    »Du hast einmal gesagt, daß du an eine Kraft glaubst. Gottlos, wie du bist, hast du etwas anderes gefunden. Seltsam, nicht wahr? Etwas müssen wir haben.«
    »Ja. Ich glaube an eine Kraft. Aber wir arbeiten wie zwei unabhängige Größen«, sagte Sejer. »Wir reden nicht miteinander.«
    »Jammerkram, mit anderen Worten. Du kannst keine Fragen stellen, du kannst nicht schimpfen und brüllen.«
    »Das machst du also beim Abendgebet?«
    »Unter anderem.«
    Er nahm sich ein rotes Gummibärchen.
    »Bete für Gunder«, sagte Sejer. Er zog seine Jacke an und ging zur Tür. Löschte das Deckenlicht.
    »May the force be with you«, sagte Skarre.
     
    Gunder öffnete für Bai die Wagentür. Er fühlte sich plötzlich andächtig. Poona hätte sich gewünscht, daß er sich um ihren Bruder kümmerte. Wenn sie sie jetzt sehen könnte, diesen kindischen Trotz, der zwischen ihnen herrschte, dann würde sie die Stirn runzeln. Er selber mit zusammengebissenen Zähnen. Der Bruder mit zusammengekniffenen Augen. Bald ist es vorbei, dachte Gunder, er glaubte nicht, daß das Schicksal ihm je wieder zulächeln würde. Aber er versprach sich, einen echten Versuch zu machen. Sie fuhren aus der Stadt hinaus. Es war ein schöner Herbsttag, die Landschaft draußen kam Bai sehr exotisch vor. Gunder fing an zu sprechen. Kurze Sätze auf Englisch, die Bai verstehen konnte. Ich bin hier aufgewachsen. Habe immer hier gelebt. Es ist still hier. Jeder kennt jeden. Mein Haus wurde 1920 gebaut. Nicht sehr groß, aber gut erhalten. Garten. Aussicht.

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