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Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Titel: Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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Haben Sie sich unterwegs umgezogen?«
    »Meine Mutter hat nicht gerade ein gutes Gedächtnis, glaube ich.«
    »Sind Sie der einzige hier im Dorf, der klar im Kopf ist, Gøran?«
    »Nein. Aber wirklich, auf so was achte ich nicht. Zum Training trage ich immer ein blaues T-Shirt und eine Trainingshose.«
    »Sie haben also das Adonis in einem sauberen weißen Hemd verlassen, und als Sie nach Hause kamen, trugen Sie wieder die verschwitzten Trainingssachen?«
    »Nein, sage ich doch. Meine Mutter wirft das durcheinander.«
    »Was hatten Sie an den Füßen?«
    »Turnschuhe. Diese hier.«
    Er streckte die Beine aus.
    »Die sehen neu aus?«
    »Nicht doch. Die sind schon reichlich eingelatscht.«
    »Darf ich mal die Sohlen sehen?«
    Er hob die Füße. Die Sohlen waren kreideweiß.
    »Wen haben Sie angerufen?«
    »Angerufen? Wann denn?«
    »Sie haben vom Auto aus telefoniert. Das hat Ulla gesehen.«
    Zum ersten Mal sah Gøran ernst aus.
    »Einfach Bekannte. Schlicht und ergreifend.«
    Sejer dachte kurz nach. »So sieht die Lage jetzt aus: Sie sind zum fraglichen Zeitpunkt mit dem Auto am Tatort vorbeigekommen. Sie fahren einen roten Golf. Ein ähnlicher Wagen wurde dort zur Tatzeit beobachtet, er stand am Straßenrand. Eine Zeugin hat auf der Wiese einen Mann in einem weißen Hemd gesehen. Er war mit einer Frau zusammen. Sie lügen, was Ihren Aufenthaltsort an diesem Abend betrifft. Mehrere Zeugen haben Kratzer in Ihrem Gesicht gesehen, als Sie am 21., am Tag nach dem Mord, in Einars Kro aufgetaucht sind. Die Kratzer sind noch immer zu sehen. Sie können sicher verstehen, daß ich für das alles eine Erklärung brauche.«
    »Ich hab mit dem Köter gerauft. Und ich vergreife mich nicht an Frauen. Das hab ich nicht nötig. Ich hab doch Ulla.«
    »Sie sagt nein, Gøran.«
    »Ulla redet viel, wenn der Tag lang ist.«
    Er lächelte nicht mehr.
    »Das glaube ich nicht. Wir sprechen uns noch.«
    »Nein. Ich will das nicht mehr. Verdammt.«
    »In diesem Fall nehme ich nur auf die Tote Rücksicht«, sagte Sejer.
    »Leute wie ihr nehmen nie Rücksicht.«
    Sejer ging hinaus auf den Hof. Mit dem starken Gefühl, daß Gøran Seter etwas zu verbergen hatte. Aber das haben alle, dachte er, und es braucht kein Mord zu sein. Deshalb war diese Arbeit so schwer, ein Hauch von Schuld in allen Menschen rückte sie in ein schlechtes Licht, auch wenn sie das bisweilen gar nicht verdient hatten. Dieses rücksichtslose Vorgehen, das Herumwühlen im Leben anderer Menschen, war der Teil der Arbeit, der ihm am wenigsten gefiel. Deshalb schloß er die Augen und hielt sich das schreckliche Bild von Poonas zerschmettertem Kopf vor.
     
    Sara wartete mit einer Kanne Kaffee auf dem Sofa. Kollberg lag zu ihren Füßen. Er träumte von der Jagd, seine Pfoten machten seltsame Bewegungen, als laufe er in einem wilden Tempo dahin. Sejer fragte sich, ob Hunde auch dieses Albtraumgefühl kannten, zu laufen, ohne von der Stelle zu kommen.
    »Er wird nie erwachsen«, sagte Sejer nachdenklich. »Er ist und bleibt ein Riesenbaby.«
    »Dann muß in seiner Kindheit etwas passiert sein«, lachte Sara und schenkte ihm Kaffee ein. »Was weißt du über Kollbergs erste Wochen?«
    Sejer dachte nach. »Er war nicht schnell genug. Kam zu spät zum Fressen. Wurde von den anderen Welpen schikaniert. Es war ein großer Wurf, dreizehn Stück.«
    »Dann ist er unterernährt an Aufmerksamkeit. Und du hast dir den Hund ausgesucht, den man niemals nehmen sollte.«
    Er überhörte letzteres. »Aber im nachhinein hat er dann zuviel bekommen. Diese Unterernährung muß sich doch legen?«
    »So was legt sich nie«, sagte Sara.
    Sie knipsten die Lampen aus und saßen im Halbdunkel da. Auf dem Tisch brannte eine Kerze. Sejer dachte an Poona.
    »Warum ihr Gesicht zerstören?« fragte er. »Was bedeutet das?«
    »Weiß nicht«, sagte sie.
    »Das soll doch etwas zum Ausdruck bringen.«
    »Vielleicht, daß er sie häßlich fand.«
    Sejer blickte sie ungläubig an. »Wie kommst du darauf?«
    »Es kann so einfach sein. Verdammt häßlich bist du noch dazu, denkt er, sein Zorn ist geweckt und er dreht durch.«
    Sie trank einen Schluck Kaffee. »Was denkst du jetzt? Ist er zutiefst verzweifelt?«
    »Nicht unbedingt. Aber ich möchte das gern glauben.«
    »Du bist so redlich«, sie lächelte. »Du wünschst dir Reue.«
    »In diesem Fall wäre die nur angebracht. Aber wenn wir ihn schnappen, wird er vor allem versuchen, in der neuen Situation zu überleben. Sich zu entschuldigen. Zu verteidigen. Und

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