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Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Titel: Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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Aber wir mochten ihn und machten uns Sorgen um ihn. Überlegten, wie wir ihn auf einen anderen Weg bringen könnten. Und dann dachten wir an seine miesen Zähne und ob die noch zu retten wären.«
    Sejer legte eine Pause ein. Sara lachte über die miesen Zähne.
    »Wir fragten beim Sozialamt nach, ob die die Kosten übernehmen würden, er hatte selber doch kein Geld. Wir mußten einen schriftlichen Antrag stellen, und das taten wir. Schrieben, das sei wichtig, im Hinblick auf die Resozialisierung. Du weißt, Zähne spielen eine große Rolle. Und unser Antrag wurde tatsächlich bewilligt. Martin mußte unters Messer. Während seiner letzten Haft wurde er jede Woche dreimal zum Zahnarzt gebracht, und am Ende hatte er tadellose kreideweiße Zähne. So wie deine, Sara.«
    Er schnupperte in ihren Haaren. »Martin war wie ausgewechselt«, sagte er dann. »Ging aufrecht. Wusch sich und ließ sich die Haare schneiden. Damals arbeitete in der Gefängnisbibliothek gerade eine Frau. Sie war alleinstehend, hatte eine Tochter und verdiente sich ein wenig dazu. Und stell dir vor, sie hat sich Hals über Kopf in Martin verliebt. Er saß seine Strafe ab und zog dann zu ihr. Und dort wohnt er heute noch und ist Vater ihres Kindes. Und hat seither nie mehr gegen das Gesetz verstoßen.«
    Sara lächelte. »Das war fast noch schöner als ein Lächeln«, sagte sie.
    »Und außerdem die reine Wahrheit«, sagte Sejer. »Aber der, mit dem wir es hier zu tun haben, hat größere Probleme als Martin.«
    »Ja«, sagte Sara traurig. »Bei dem ist mit Zahnpflege nichts zu machen.«
     

10. SEPTEMBER. 
    Shiraz Bai war in Norwegen gelandet. Er wohnte auf Gunders Rechnung im Park Hotel. Sejer rief Gunder an.
    »Wenn Sie wollen, können Sie sich auf der Wache treffen, dann brauchen Sie mit ihm nicht allein zu sein. Er hat sicher Fragen, die nur schwer zu beantworten sind. Er spricht Englisch, aber nicht sehr gut.«
    Gunder stand am Telefon und dachte nach. Schaute Poonas Bild an. Ob er wohl Ähnlichkeit mit seiner Schwester hatte? Das ist mein Schwager, dachte er. Natürlich muß ich ihn treffen. Aber er hatte keine Lust. Stellte sich eine endlose Reihe von brennenden Anklagen vor. Wie sollte er das nur schaffen?
    Plötzlich war es wichtig, ordentlich auszusehen. Er duschte und zog ein frisches Hemd an. Räumte überall auf. Vielleicht wollte Bai das Haus sehen, das Poonas Heim hätte werden sollen. Die schöne Küche, das Badezimmer mit den weißen Schwänen. Er fuhr langsam in die Stadt. Skarre erwartete ihn an der Rezeption. Sie sind wirklich sehr umsichtig, dachte Gunder. Sie verstehen soviel. Das hatte er nicht erwartet. Er ging zu Sejers Büro und entdeckte ihn sofort. Einen mageren Mann, nicht sehr groß und seiner Schwester so ähnlich, daß er zusammenfuhr. Sogar die vorstehenden Zähne hatte er. Er trug ein blaues Hemd und eine helle Hose. Seine Haare waren zu lang und sehr fettig. Sein Blick war ausweichend. Gunder ging zögernd auf ihn zu, als Sejer sie einander vorstellte. Er schaute in das düstere Gesicht seines Schwagers. Er sah keine Anklagen, das Gesicht war verschlossen. Es gab nur ein kurzes Nicken. Sein Händedruck war eine unwillige Berührung. Ihnen wurden Stühle angeboten, aber Bai lehnte ab. Er blieb am Schreibtisch stehen, wie um die Sache rasch hinter sich zu bringen. Gunder hatte sich schon gesetzt. Tiefe Schwermut erfüllte ihn. Er hätte alles aufgeben mögen. Marie lag noch immer im Koma. Für ihn war die ganze Welt stehengeblieben.
    Skarre, der besser Englisch sprach als Sejer, führte das Wort.
    »Mr. Bai«, sagte er. »Möchten Sie Herrn Jomann etwas sagen?«
    Bai sah Gunder schräg von oben her an. »Ich will meine Schwester nach Hause holen. Home is India«, sagte er leise.
    Gunder starrte auf den Boden. Seine Schuhe. Er hatte vergessen, sie zu putzen, sie waren grau vor Staub. In ihm schrie etwas, Bitten, die er nicht über die Lippen brachte. Bestechung. Geld, vielleicht. Der Mann war doch so arm, das hatte Poona gesagt. Und dann schämte er sich zutiefst.
    »Wir können doch darüber reden«, sagte er vorsichtig.
    »No discussion«, sagte Bai schroff und preßte die Lippen zusammen.
    Er sah wütend aus. Schien seine Schwester nicht zu betrauern, nicht an Kummer zu leiden. War nicht entsetzt über das, was passiert war, und was die Polizei ihm bis ins Detail erklärt hatte. Er war wütend. Undurchdringliche Stille herrschte, während die vier Männer im Raum warteten. Gunder hatte keine Kraft mehr, um von

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