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Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Titel: Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie
Autoren: Karin Fossum
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Offenbar plante sie die Reise ganz genau. Er fühlte sich ganz benommen und ging deshalb zum Schrank, um eine Flasche Kognak herauszunehmen. Jawohl, das tat er.
    Marie wischte sich den Mund ab und lächelte. »Aber das wird doch sicher spannend, Gunder? Denk doch bloß, was du nachher alles zu erzählen haben wirst. Hast du einen Film im Apparat? Hast du eine Reiserücktrittsversicherung abgeschlossen? Hast du eine Liste über alles gemacht, was du nicht vergessen darfst?«
    »Nein«, sagte er und nippte an seinem Kognak. »Kannst du das für mich erledigen, Marie?«
    Worauf sie dahinschmolz und sich ganz schnell Papier und Bleistift holte. Während Gunder den Kognak im Mund anwärmte, setzte Marie die Liste auf. Er sah ihr heimlich dabei zu. Sie nuckelte am Stift und tippte damit gegen ihre Vorderzähne, wie um ihre Gedanken auf Trab zu bringen. Ihre Schultern waren so rund und beruhigend. Gut, daß er Marie hatte. Zwischen ihnen gab es keine Probleme.
    Egal, was passierte, Marie würde er doch immer haben.
     

SO SAH GUNDER AUS, 
    als er im Flugzeug saß. Mit geradem Rücken, wie ein Schuljunge. Gekleidet in ein kurzärmliges Hemd von Dressman, einen dunkelblauen Blazer und eine khakifarbene Hose. Er war in seinem Leben noch nicht oft geflogen, und alles, was er sah, beeindruckte ihn. Im Gepäckfach lag eine schwarze Tasche, und in dieser Tasche steckte in einem Seitenfach die Schachtel mit dem Silberschmuck. In seiner Brieftasche hatte er indische Rupien, deutsche Mark und englische Pfund. Jetzt schloß er die Augen. Er mochte das Gefühl im Bauch nicht, das sich beim Start einstellte.
    My name is Gunder, sagte er zu sich. How do you do?
    Sein Sitznachbar schaute ihn an.
    »Die Seele bleibt immer auf Gardermoen zurück. Ist das nicht seltsam?«
    Gunder verstand nicht.
    »Wenn man so schnell reist wie wir, dann bleibt die Seele hängen. Irgendwo im Flughafen. Meine liegt wahrscheinlich in der Bar, unten im Glas. Ich habe einen Whisky getrunken.«
    Gunder versuchte, sich einen Morgenwhisky vorzustellen. Das gelang ihm nicht. Er selber hatte an einem langen Tresen im Stehen eine Tasse Kaffee getrunken und sich dabei die vorüberhastenden Menschen angesehen. Seine Seele steckte unter seinem Blazer, da war er sich ganz sicher.
    »Sie sollten statt Whisky Kaffee trinken«, sagte er gelassen.
    Der Mann blickte Gunder an und lachte. »Was verkaufen Sie?« fragte er dann.
    »Ist das so deutlich?«
    »Ja.«
    »Ich verkaufe Landmaschinen.«
    »Und fliegen zur Messe nach Frankfurt?«
    »Nein, nein. Diesmal bin ich Tourist.«
    »Aber wer macht in Frankfurt Urlaub?« fragte der Mann.
    »Ich fliege noch weiter«, sagte Gunder glücklich. »Nach Mumbai.«
    »Und wo liegt das?«
    »In Indien. Hieß früher Bombay, wenn Ihnen das etwas sagt«, Gunder lächelte wichtig. »Seit 1995 heißt die Stadt Mumbai.«
    Der Mann hielt eine vorübereilende Stewardeß an und bat um einen Whisky mit Eis. Gunder bestellte Orangensaft und ließ sich mit geschlossenen Augen in den Sitz zurücksinken. Er wollte nicht reden. Er hatte so viele Gedanken im Kopf. Was sollte er über Norwegen erzählen? Über Elvestad? Über die Norweger? Über ihre Art? Und über das Essen, was ließ sich darüber sagen? Frikadellen. Fischpudding und Ziegenkäse. Schlittschuhlaufen. Very cold. Bis zu vierzig Grad minus. Norwegian Oil. Sein Saft wurde gebracht, und er trank langsam. Drückte danach den Plastikbecher in das kleine Netz am Vordersitz. Draußen trieben Zuckerwattewolken vorbei. Vielleicht würde er auf dieser Reise nach Indien ja gar keine Frau finden. Wenn ihm das zu Hause nicht gelang, warum sollte er in einem fremden Land mehr Glück haben? Aber etwas war passiert. Er war zu etwas Neuem unterwegs. Noch niemand aus Elvestad war in Indien gewesen, seines Wissens nicht. Gunder Jomann. Ein weitgereister Mann. Er hatte vergessen, die Batterie in seiner Kamera zu überprüfen, fiel ihm jetzt ein. Aber sicher konnte er am Flughafen eine kaufen. Er reiste ja schließlich nicht auf einen fremden Planeten. Wie Inderinnen wohl heißen mochten? Wenn er eine mit einem ganz unmöglichen Namen kennenlernte, dann könnte er sich vielleicht einen Kosenamen als Abkürzung ausdenken. Indira, fiel ihm ein. Gandhi. Schwer war das wirklich nicht. Fast wie Elvira. In den meisten Dingen sind wir Menschen doch alle gleich, damit tröstete er sich. Dann schlief er endlich ein. Sofort sah er sie vor sich. Die schwarzen Augen funkelten.
     

MARIE FUHR JEDEN TAG ZU GUNDERS
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