Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur
nichtkommerziell motivierte Äußerungen ihre Chance erhalten sollen.
Abbildung 9: Logo der nationalen Graffitiabteilung
(Quelle: http://graffitiresearchlab.com, 30.05.2008)
Hierfür bietet das GRL Handlungsanregungen und zeigt deren Funktionsweisen auf. Parallelen zu den bereits von der Kommunikationsguerilla
(autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe 1997) erprobten Techniken sind unverkennbar, etwa die Verwendung von eingeführten Worten und
Zeichen, die minimal abgewandelt werden. Ein solch dominantes Element ist in den USA die 2002 eingerichtete nationale Sicherheitsbehörde,
die in Nachrichten wie auch im Alltag fortwährend an prominenter Stelle positioniert wird und darüber die Aura einer elementar
wichtigen und umfassend relevanten Institution aufbaut. Analog zum
Department of Homeland Security
existiert beim GRL das Logo des
Departments of Homeland Graffiti
, das mit seiner offiziell |220| ikonischen Erscheinung den wichtigen und amtlichen Charakter transportiert und damit auf den ersten Blick die gleiche Autorität
beansprucht wie die Organe des Heimatschutzministeriums (Abbildung 9). Denn erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass das
Wappen eine Spraydose zeigt und die Pfeile in den Klauen des Adlers tatsächlich die Strahlen eines Laserpointers sind.
Solche erprobten Strategien, die Sprache und Zeichen der Macht im Sinne eigener Interessen zu verwenden, werden auf die heute
begleitend genutzten Neuen Medien hin fortentwickelt. Dies beschränkt sich nicht auf die beispielhaft angeführten Bauanleitungen
und das Plädoyer, Technik kreativ und nicht nur ausschließlich im Sinne der Erfinder einzusetzen, sondern umfasst auch den
Hinweis, stets eine Videokamera mitlaufen zu lassen, den Clip mit möglichst populärer Musik zu unterlegen und beim Upload
in das Netz zudem mit einschlägigen, also Aufmerksamkeit versprechenden Schlagworten zu versehen.
Mit dem Internet erhält die Street-Art-Kultur somit einen weiteren Austragungsort, der die unterschiedlichen Erscheinungsformen
alternativer Äußerungen aufnimmt und auf seine Weise bereichert, sozial und hypertextuell durch Vernetzung, multimedial durch
Musik und Videos der Aktionen, zeitlich durch die Herstellung von Permanenz. Durch die Online-Präsentation ihrer Aktivitäten
verändert die Graffiti-Szene partiell ihr Gesicht, indem sie sich eine zusätzliche Darbietungsdimension verschafft, die eine
größere Reichweite mit sich bringt, als sie allein im Ursprungskontext der Straße und der exklusiven lokalen Erscheinung einzelner
Großstädte hätte. Das Netz ist folglich Teil der Realität von Graffiti mit gleicher Wertigkeit; eine Trennung des virtuellen
Raums vom Reallife ist kaum mehr sinnvoll. Interessierte können zudem über die im Web 2.0 etablierten Austauschformen einbezogen
werden und ihrerseits die vorgefundenen wie auch eigene Ansätze individuell im Netz der Online-Szene positionieren und in
ihrem Sinne interpretieren. Dies erlaubt nebenbei auch, völlig legal zu agieren und dennoch den Gestus des Subversiven zu
pflegen, was Powderly und Roth im Video »GRL talks« (2008) zusammenfassend mit der Feststellung: »The web is the perfect place
for the oral history of graffiti« benennen.
Die
oral history
nimmt dabei eine herausragende Position ein. Hier unterscheidet sich die Streetart-Szene von anderen, grundsätzlich zunächst
ähnlich ambitionierten Hackern. Wenn zum Beispiel die von Microsoft hergestellte Spielkonsole X-Box zum vollwertigen Linux-Computer
umgebaut |221| wird, indem Schwachstellen in der Programmierung der mitgelieferten Spiele ausgenutzt werden, besteht die Motivation auch
darin, die von Microsoft bezuschusste Hardware für andere Zwecke zu nutzen als vorgesehen und so die Marktstrategie eines
Monopolisten zu durchkreuzen. 17 Im Vordergrund bleibt hier jedoch die Zielgröße des eigenen praktischen Nutzens, der geschickte Zug des pfiffigen Konsumenten,
der sich durch den Hack ein besonderes Schnäppchen sichert. Zwar werden der Hack wie auch die Reaktion von Microsoft 18 betont humorvoll kommentiert und im Web und auf Pressekonferenzen öffentlich kommuniziert, um etwa ein breiteres Publikum
zum Nachbau zu ermutigen. Dennoch überwiegt aber letztlich der Aspekt der praktischen Nützlichkeit, der den Streetart-Aktionen
mit ihrem Schwerpunkt auf der ästhetisch motivierten Äußerung ungeachtet des geschilderten Technikeinsatzes weitgehend fremd
ist. Die Attraktivität der
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