Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur
dortigen Handlungen speist sich trotz ähnlich gelagertem rebellischen Gestus stärker aus der Kombination
und der Nähe zum künstlerischen Kontext, selbst wenn Einladungen zu Ausstellungen, Festivals und Konferenzen oder Galerien
den wenigsten vorbehalten sein dürften. Die Performanz des genießerisch Verrückten, die Nähe des assoziierten Untergrunds
in gleichzeitiger Kombination mit avantgardistischer Techniknutzung bildet offenbar einen mächtigen Handlungs- und Kreativitätsanreiz. 19
Dabei kann man dem Online-Anteil der Streetart sogar einen vergleichsweise guten Ton, ein zurückhaltendes, sittsames Verhalten
zusprechen. Denkt man an Graffiti, haben diese auch die Eigenschaft und Ambition, bei bestimmten Personen Unmut hervorzurufen.
Sie sind oft unwillkommen, teils betont unattraktiv, provozierend und geradezu lästig, verursachten Kosten und Arbeit. Dies
wird sogar zeichnerisch gepflegt und zeigt sich in der Beliebtheit |222| der Abbildung von Schädlingen in Figur von Ratten, Schaben oder Käfern als Motiv oder Maskottchen (Abbildung 10). 20
Abbildung 10: Schädling als Sticker
(Quelle: Foto von Alexander Ruhl)
Online-Äquivalente zur unerwünschten Konfrontation oder Provokation mit ungefragt angebrachten Zeichen wären durchaus denkbar:
wahllos und massenhaft versendete Mails, so genannter Spam, oder automatisiert durchgeführte Einträge auf interaktiven Webseiten
des Web 2.0. Eine solche negativ besetzte Äußerungsform, wie sie durchaus im Rahmen der Netzkunst etwa von Alan Sondheim praktiziert
wurde und das Kriterium eines deutlichen Effekts mit ziemlich simplen technischen Mitteln erfüllen kann, bildet keinen nennenswerten
Teil der Online-Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Feld der Streetart. Analog zu den Tags, mit denen ein urbaner Bereich
durch das individuelle Zeichen reklamiert wird (Reinecke 2007: 19ff.), wären Massenmails oder
Spambots
, die massenweise automatisiert Einträge in den Kommentarfeldern von Weblogs und auf Wiki-Seiten platzieren, durchaus als
virtuelle Entsprechung anzusehen.
Wird die wilde Streetart im Internet etwa »erwachsen«? Nutzt sie die Online-Freiräume, um sich als gesellschaftsfähig zu etablieren?
Dieser Eindruck trifft nur an der Oberfläche zu. Der virtuelle Raum ist trotz der vielfältigen Möglichkeiten eben nicht mit
dem Urbanen gleichzusetzen und spricht somit nicht für die Streetart als solche. Die Online-Bühne ist eine |223| gänzlich andere Umgebung als die Straße und bringt unter den medialen Vorzeichen eine andere, relativ eigenständige Erscheinungsform
der Streetart hervor. Sie bildet daher einen gesonderten Bereich. Dieser mag sich vergleichsweise gesetzt darstellen, doch
bietet er hinter der sorgsam aufgebauten Fassade auch Raum für subversive Aktionen im Sinne der ursprünglichen Motivation.
Spambots
einzusetzen wäre nicht im angestrebten Sinne subversiv, fehlte doch der Aspekt der gewitzt innovativen Intervention. Spam
ist bereits hinreichend codiert als Kommerz, dazu noch in einer besonders lästigen und rücksichtslosen Spielart. Stattdessen
wird mit der souveränen Online-Darstellung von Streetart kulturelles Kapital in Form von technisch-medialer Kompetenz eingebracht,
das eventuell in Ökonomisches konvertierbar ist und so den Aktivitäten auf der Straße zuteil werden kann. Denn die Aktionen
im urbanen Raum kommen nicht ohne eine gewisse materielle Ausstattung zustande beziehungsweise fallen vielfältiger aus, wenn
zusätzliche Ressourcen aktiviert werden können. Hierfür gilt es, Kontakte aufzubauen, zu pflegen und geschickt zu nutzen.
Um Mittel von Sponsoren zu akquirieren, bekommen diese selbstverständlich eine Version präsentiert, von der man annimmt, dass
sie am ehesten erfolgversprechend ist. So erklärt sich, dass Streetart im Netz eben nicht die Straße selbst, sondern eine
besondere Spielart ist, nämlich eine zielgerichtete Kommunikationsstrategie. Sie wird verfolgt, um Herausforderungen annehmen
zu können auch für Dinge, die auf den ersten Blick unmöglich erscheinen, um neue, anregende Freiräume für weitere Aktionen
zu lokalisieren. 21 Gelingen diese wie erhofft, liegt der Hauptzweck jedoch vor allem in ihnen selbst. So berichten Aktive 22 vom unbeschreiblich erhebenden Gefühl, das sich einstellt, wenn man etwa mit dem
Laser-Tag
auf einmal einfach ein riesiges Gebäude umgestalten kann, und von der unglaublich guten Stimmung, wenn ein lange geplantes,
nie
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