Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur
Nicht von Interesse ist hier die Frage nach dem
sogenannten Bildhandeln d.h. also nach den Bildpraktiken der Akteure, der Fokus liegt auf der Medienstruktur und dem visuellen
Ergebnis, dem Bild! Die laufende YouTube Studie vereint Boehms Postulat der »ikonischen Alphabetisierung«, den lernenden Blick
auf das Bild, mit Ernsts »Ästhetik der Datenbanken«, also mit dem Blick auf die mediale Struktur.
YouTube Basics
Das Portal YouTube ist seit dem 15. Dezember 2005 im Netz, seit 2006 ist Google der Besitzer; auf dem ersten eingestellten
Video war am 22. Mai 2005 die Katze Pajamas zu sehen. Die Plattform ist eine typische Erscheinung der zweiten dialogischen
(vgl. Flusser 1990) Epoche des Internets, des sogenannten Web 2.0. Hier beurteilen die Nutzer die Erzeugnisse anderer |227| TeilnehmerInnen über die Kennzeichnung ihrer Favoriten und über eine textliche Kommentierung (
social networking
und
social bookmarking
); sie antworten visuell über einen Videoclip (
response
) oder erstellen Ranglisten. Es gibt unterschiedliche Suchfunktionen, wovon die wichtigste für die Suche nach Clips diejenige
über Schlagworte (
tags
) ist. Weitere Auswahlkriterien sind: die am häufigsten angeschauten Videos (
most viewed,
des Tages, der Woche, des Monats, des Jahres, aller Zeiten), die von den Usern am besten bewerteten Clips (
top rated
), die Clips mit den meisten Kommentaren (
most discussed
) und schließlich die Clips mit den meisten Video-Antworten (
most responded
). Die NutzerInnen sind durch den Button
most recent
immer auf dem neusten Stand und haben Veränderungen der Plattform sofort im Blick, wie es für das Web 2.0 typisch ist.
Zum Verständnis des Mediums Online-Video bei YouTube sind folgende Grundannahmen notwendig: YouTube ist kein Archiv der »Ästhetik
des Banalen im frühen 21. Jahrhundert« (vgl. Graff 2006) und auch keine »Hall of Fame des Augenblicks« (Graff 2008: 15), sondern
mehr. Hier zeigt sich nicht das »Leben der Anderen« 3 , eine solche Aussage ignoriert schlichtweg die Präsenz eines Mediums mit seinen speziellen Vorgaben für Form und Inhalt.
Es handelt sich nicht um die Abbildung einer authentischen sozialen Realität. YouTube-Bilder sind Paradebeispiele für ein
raffiniertes Hybrid aus Fremd- und Eigenbildern und für eine friedliche Koexistenz von
real-
und
fake-
Formaten, die nur mit entsprechender Medienkompetenz auseinanderzuhalten sind. Das eigene Bild existiert in dem Sinne nicht,
wenn, dann ist es das Ergebnis einer bewussten, künstlerisch motivierten Hervorbringung. Die irreführende Ideologie des Authentischen
als inhärenter kultureller Konsens entsteht aufgrund von Lowtech-Aufzeichnungsmedien mit geringer Auflösung und der qualitativ
nicht so hochwertigen Ausgabe in einem kleinen Fenster auf dem Bildschirm. Diese Wirkung bringt das Authentizitätsversprechen
des fotorealistischen Prinzips (vgl. Richter 2008 zum Begriff der realistischen Stile) mit sich, das auch im bewegten Bild
des Online-Videos aufrechterhalten wird.
Aber diese Diskussion ist hier weniger relevant als der Blick auf die neuartigen Kunstformen. Auch nicht künstlerisch ausgebildete
Menschen testen in diesem Labor für bewegte Bilder neue Formen, die sie aus Materialien der Alltags- und Popkultur generieren.
Die Produzierenden bewegen sich hierbei im Rahmen ihrer ästhetischen Sozialisation. Dabei gilt zu ergründen |228| , ob und worin die neuartige Kreativität vorliegt. Eine Grenzziehung zwischen kunstvoller Artistik des Varietés, neuen Kunstformen
und ihren Prototypen ist notwendig, obwohl die Kontexte generell im Fluss sind.
Es gilt im Anschluss, bestehende Begrifflichkeiten zu diskutieren beziehungsweise neue Kategorien für diese Art der Kreativität
in einem neuen Medium zu schaffen: Die Begrifflichkeiten »Geniale Dilettanten«, »Prosumer«, »emanzipierte Konsumenten« und
»Medienamateure« sind zu negativ konnotiert, da sie vom Maßstab der Kunst ausgehen und die Dichotomie des
high and low
zugrunde legen. Es muss eine differenziertere Bezeichnung für die kreativen Eigenleistungen entwickelt werden, die nach der
Qualität der Werke schaut. Medienmeister und Medienbricoleur wären eine erste begriffliche Annäherung, da die Online Video-Arbeiten
von hoher Medienkompetenz zeugen und vom artistischen Umgang mit dem Medium und seinen Möglichkeiten ausgehen, aber nicht
zum Kanon der anerkannten Künste, auch nicht der angewandten, zählen. Im
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