Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur
Kunst solche Ambivalenzen zum Verschwinden bringt – eine Entwicklung, die offenbar
Voraussetzung für den Genuss von Leinwanderfolgen und ökonomischen Privilegien zu sein scheint. Denn was mit Gesten geschehen
kann, wenn sie in die Arena der Realpolitik eintreten, haben nicht zuletzt Arnold Schwarzeneggers Rolle des urbanen Kriegers
und der symbolische Raum, den diese Figur besetzt, klar gemacht: Ein Weg, der von provinziellem Bodybuilding über Hollywoods
Filmindustrie zur Position des Gouverneurs von Kalifornien geführt hat. Jegliche Art physischer und räumlicher Ambivalenz,
die der Möglichkeit des Versagens nachgeben könnte, wurde mit der Erschaffung eines künstlichen Körpers ausgelöscht, der den
vorhandenen Ort der Verletzbarkeit zu eliminieren schien. Die »Schwarzenegger-Formel« wurde so zur perfekten Strategie und
Tarnung, um die zunehmende Angst vor urbaner Desintegration zu überdecken. Wenn dieses Vorbild zutrifft, dann kann erwartet
werden, dass Parkours Weg in den kulturellen Mainstream nicht nur neue Karrierebahnen nach sich ziehen, sondern auch eine
heikle Doppelrolle im kulturellen Getriebe einnehmen wird: als neues Schmiermittel urbaner Transformation und als Kitt, der
das Stadtleben im frühen einundzwanzigsten Jahrhundert zusammenhält.
Literatur
Borden, Iain (2001),
Skateboarding, Space and the City: Architecture and the Body
, London.
Bos, René ten (2005), »On the Possibility of Formless Life: Agamben’s Politics of the Gesture«, in:
ephemera 5
, 1.
Butler, Judith (1993),
Bodies That Matter
, New York/London.
Hébert, George (1936),
L'Education physique virile et morale par la méthode naturelle
, Paris.
Hughes, Jonathan/Sadler, Simon (Hg.) (2000),
Non-plan: Essays on Freedom, Participation
and Change in Modern Architecture and Urbanism
, Oxford.
Lefèbvre, Henri (1991),
The Production of Space
, Oxford.
Mirzoeff, Nicholas (2003), »Stuff and nonsense«, in:
Journal of Visual Culture
2, 2.
1
Vgl. http://www.urbanfreeflow.com, 15.06.2008.
2
George Hébert war damit einer der ersten Verfechter von Parkour, und zwar als Hindernistraining in der Leibeserziehung, das
eine Erneuerung des Militärtrainings ebenso angeregt hat wie die Entwicklung von zivilen Fitnessparcours. Die in Wäldern eingerichteten
Hindernispfade mit Schwebebalken, Leitern, Schwingseilen und ähnlichen Geräten werden auch heute noch gelegentlich als
Hébertismus-Pfade
bezeichnet.
3
Parkour leitet sich dem Namen nach von
parcours du combatant
ab – ein Ausdruck, der sich auf das Hindernistraining in Héberts Lehre bezieht.
4
Will Alsop in
Jump London
, einem von Mike Smith produzierten britischen Dokumentarfilm des Fernsehsenders Channel 4 (Dir.: Mike Christie für Optomen
Television, 2003), Erstausstrahlung im September 2003.
5
Vgl. http://www.freerunning.com, 15.06.2008.
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true
|271| Guerilla in Hochkultur: Für eine Typologie des elitären Konsums
Jörg van der Horst und Christoph Jacke
Vorspiel: Konsum des Spektakels vs. Spektakel des Konsums
Man könnte es sich einfach machen. Man könnte in den Kanon der vorherrschenden und mit Vorliebe gepflegten Vorurteile einstimmen.
Man könnte sagen: Bayreuth ist das deutsche Adäquat zu Huntington Beach, der kalifornischen Kleinstadt, die sich 1999 mit
Haut und Haaren an die
Coca-Cola
Company verkauft hat. Fortan durfte das Unternehmen für die Dauer von zehn Jahren vom exklusiven Recht Gebrauch machen, sein
Logo an und in öffentlichen Gebäuden zu platzieren, Getränkeautomaten am Strand und in Parks genauso aufzustellen wie in der
Polizei-, Feuerwehr und Post-Station. Seinen alljährlichen Höhepunkt erlebt das Surferparadies seitdem in Gestalt einer mehrwöchigen,
groß angelegten Sommerparty, die ihrerseits und buchstäblich ganz im Zeichen des Softdrinkgiganten steht. Die Parallele liegt
auf der Hand, unter dem Strand, auf dem Pflaster. Keine andere deutsche Stadt ergibt sich derart devot in ihr Produkt wie
Bayreuth, die oberfränkische Opernmetropole. Nicht nur entlang der Bahnhofsstraße, die über Nibelungenstraße und Siegfried-Wagner-Allee
auf direktem Weg zum Festspielhaus führt, reihen sich Apotheken, Reisebüros und Fingernagelstudios aneinander, die entweder
Parsifal, Lohengrin oder – wie im Fall einer Partnerschaftsvermittlung – Tristan und Isolde heißen; Markentreue bis in den
Liebestod. Dieser Hype entstammt nicht den Gründungsjahren der Richard-Wagner-Festspiele,
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