Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur
die spielerische und explorative Nutzung von Computern. Bei genauerer Betrachtung schließt
dies vor allem die folgenden fünf Aspekte ein, die auch im Cultural Hacking vorliegen (vgl. Liebl/Düllo/Kiel 2005):
Erstens, Hacking stellt auf Orientierung und Desorientierung ab. Es geht nicht nur um die Erkundung eines fremden Systems,
um sich darin zurechtzufinden; sondern es geht auch darum, eine bewusste Desorientierung beziehungsweise neue Orientierungen
in dieses System einzuführen. Diese Re-Orientierungen werden meist durch eine Umcodierung bewerkstelligt. Umcodierung heißt
dabei auch, dass gezielt Doppeldeutigkeiten und (scheinbare) Ähnlichkeiten benutzt werden, um die Ebenen zu wechseln und neue
»Benutzeroberflächen« zu erzeugen.
Zweitens, Hacking bedeutet das Ineinanderaufgehen von Ernst und Spiel. Es stellt folglich keine neue Form von distanzierter
Ironie oder ähnlichen Haltungen dar, die gerne als »postmodern« beziehungsweise als Symptome einer »Spaßgesellschaft« interpretiert
werden. Im Gegensatz dazu weist Hacking als typische Kennzeichen des eigenen Arbeitsprozesses zugleich ernstes Spiel und spielerischen
Ernst auf. Gleichzeitig wirkt das Spielerische als ein wesentlicher Motor der Innovation:
»[…] das Spielen mit der Technik exploriert deren Grenzen, die dabei zugleich aufgelöst und woanders wieder fixiert werden.
Schon was als Spielergebnis der frühen Hacker in den extraspielerischen Raum abfiel, war – und dies ist gar kein Widerspruch
zur ›Freiheit‹ des Spiels – bezeichnenderweise alles andere als unverwertbar. Es gibt seitdem Musiksoftware und Textverarbeitungen,
Kalkulationsprogramme und Computerspiele. Und es gibt Betriebssysteme.« (Pias 2002: 263)
Zum Hacking gehören, drittens, Attitüden des Bastelns. Das heißt, die Vorgehensweise ist experimentell, beliebt sind Strategien
der Zweckentfremdung, unter anderem die Kombination von Hightech- und Lowtech-Elementen oder ein Basteln mit Tools, die für
den jeweiligen Zweck gar nicht entwickelt worden waren. Und als experimenteller Zugriff äußert sich Hacking primär performativ,
das heißt es realisiert sich über seine eigene Praxis (vgl. Gunkel 2001).
Viertens, Hacking produziert experimentelle Versuchsanordnungen für eine kalkulierte und präzise Intervention ins System,
auch wenn sie aus Sicht des Systems »irregulär« oder »unfachmännisch« erscheinen mag (ebd.). In Wahrheit ist eine solche Intervention
eher eine künstlerische.
|40| Und fünftens schließt Hacking die Kreation und Dissemination von Viren ein. In diesem Zusammenhang kommen vor allem die Strukturen
und Charakteristiken vernetzter Kommunikationsmedien zum Tragen. Hacking verquickt letztlich die Strategien der Simulation
und Dissimulation aus den achtziger Jahren mit den Strategien der Vernetzung aus den Neunzigern.
AMOs: Konsuminnovation als Kunst des
strategischen
Handelns
Fasst man diese Charakteristika zusammen, ist Cultural Hacking so etwas wie die logische Fortsetzung der sogenannten »Kunst
des Handelns« (
art de
faire
), die Michel de Certeau einst so sinnfällig beschrieben hat. Doch während bei de Certeau das Aufeinanderprallen von Usern
und Industrie einen Krieg zwischen (Guerilla-)Taktikern und hegemonialen Unternehmen bedeutete (
art de guerre
), kann das Cultural Hacking selbst Züge einer Innovations-Strategie gewinnen. Dies resultiert dann, wenn die Zweckentdeckung
nicht mehr auf zufälliger Improvisation beruht, sondern als professionalisierte Originalitäts- und Neuheitsproduktion betrieben
wird – sprich als Kunst. Konsuminnovation als Ausdruck einer »Kunst des
strategischen
Handelns« verdankt sich daher einem gegenseitigen Verweiszusammenhang von Hacking-Strategien, Konsum und Kunst. Dieser kommt
nicht von ungefähr und ist bereits vor Jahren in seinen Grundzügen von Boris Groys formuliert worden.
Für Groys (1998) verkörpert der Künstler so etwas wie die Avantgarde der Ökonomie. Das ergibt sich aus dem sich wandelnden
Rollenmodell des Künstlers, denn, so Groys: »Keiner ist imstande zu behaupten, dass er am Ursprung seines Werks steht, dass
er Bedeutungen, Intentionen und Formen originär produziert und in die Welt setzt.« (ebd.: 49) Laut Groys sehen wir uns daher
einem Wandel der Künstlerrolle gegenüber, und zwar vom Produzenten- hin zum Konsumentenstatus. Der Künstler wirkt nicht mehr
so sehr als Produzent, sondern wird ein exklusiver, vorbildlicher Konsument
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