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Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur

Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur

Titel: Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Richard , Alexander Ruhl
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nicht nur auf die drohende finale Ikeaisierung der Lebenswelt von der Wiege
     bis zum Grab, sondern kommentiert uno actu die Ausbeutung materieller Ängste durch die zunehmende Zahl von Begräbnisversicherern.
    Besonders interessant und strategisch relevant wird es schließlich dort, wo AMOs nicht mehr nur auf einzelne Produkte eines
     Anbieters abheben, sondern auf dessen komplettes Geschäftsmodell. Als Beispiel führen Tollmann/Nedo (2008) die subversive
     Nutzung des Ikea-Rückgaberechts durch den Wiener Künstler Christian Mayer an. Mayer bestückt Ausstellungen mit |48| unausgepackten Ikea-Möbeln, da unbenutzte Ware in Originalverpackung drei Monate lang bei voller Erstattung retournierbar
     ist. Die AMO-typische Hacking-Mechanik von Mayers Projekt »Temporary Interior Decoration (Returnable within 90 days)« beschreiben
     Tollmann/Nedo (2008: 27; Abbildung 14) wie folgt:
    »[Mayer] baut aus ihnen stattdessen zum Beispiel große, geschwungene Formen mit Dutzenden pappumwickelten [sic!] Korbstühlen.
     Nach Ausstellungsende wird die Ware ordnungsgemäß am Service-Schalter retourniert. Die schiere Marktwucht, mit der das Einrichtungshaus
     operiert, fordert also besonders nichtmaterielle Produktionsweisen der Künstler heraus. Wie beim Judo gelingt es ihnen, die
     Kraft ihres Gegners in den eigenen Vorteil zu verwandeln.«
    Abbildung 12: Titelseite DIY-Katalog
    (Quelle: Scanlan 2002)
    Abbildung 13: Bauanleitung für Sarg
    (Quelle: Scanlan 2002)
    Betrachtet man diese Position im weiteren Umfeld von künstlerischen Hacking-Strategien, fällt Mayer angesichts seiner konsequenten
     Nutzung von Kompensationsmechanismen in eine ähnliche Kategorie wie Matthieu Laurette, dessen Arbeitsweise lange Zeit darin
     bestand, den Lebensunterhalt durch exzessive Inanspruchnahme von Marketingaktionen wie Rabattierungen, Kuponaktionen und kostenlosen
     Warenproben zu bestreiten (Laurette 1998; Frame/Nifca 2001).
    |49|
    Abbildung 14: Christian Mayer, Temporary Interior Decoration (Returnable within 90 days)
    (Quelle: Tollmann/Nedo 2008: 27)
    Während bei Christian Mayer ein besonderer Teilaspekt des Geschäftsmodells von Ikea herausgenommen und umfunktioniert wird,
     würde die modifizierende Bezugnahme auf das komplette Geschäftsmodell in letzter Konsequenz die Gründung eines ganzen Unternehmens
     bedeuten. Auch hierfür gibt es Beispiele. Der Londoner Künstler Lee Parker stellt dem System Ikea eine Firma namens IDEA systems
     gegenüber. Alles, was von diesem Unternehmen existiert, ist ein manipuliertes Ikea-Logo sowie ein Mission-Statement mit dem
     Titel »what we stand for«. Dieses ist so doppelbödig formuliert, dass es
prima facie
auf das schwedische Vorbild anwendbar erscheint, gleichzeitig aber auch als pointierte Gegenposition gelesen werden kann.
     Das Leitbild beginnt wie folgt:
    »Although we produce many products, we believe every individual piece of our furniture is singularly beautiful. For those
     seeking a hallmark of quality craftmanship beyond the everyday, look no further. IDEA system furniture, captures the IDEA
     vision. […] We would urge all those wishing to invest in system furniture, to make IDEA their first choice for quality. If
     you believe that IDEA preserves a collective wish for quality production values and you share in this vision, then invest
     in IDEA system furniture and transform your life. IDEA brings people together, it gives them meaning.« (Parker 1999: 43)
    |50| Die am weitesten gehende und radikalste Transformation beziehungsweise Modifikation des Ikea-Geschäftsmodells findet sich
     jedoch in Jean-Baptiste Farkas’ Werkkomplex IKHÉA©SERVICES (Farkas 2004). IKHÉA ist ein fiktives Unternehmen, das im Jahr
     1998 gegründet wurde – und heute als ironischer Reflex auf das damals blühende Genre »Service-Kunst« (Janecke 2001) verstanden
     werden kann.
    Abbildung 15: IKHÉA-Serviceanforderung
    (Quelle: Farkas 2004)
    Im Zeitalter eines erstaunlich durchperfektionierten, problemlosen Alltags versteht sich IKHÉA als
l’entreprise de la faute
: »IKHÉA is conceived as the ›Mistekh Company‹ which derives its strength from disorder, multiplies pitfalls and prides itself
     on its complexity.« (Farkas 2004: 45) IKHÉA konzipiert innovative Services als – teils drastische – Interventionen in häusliche |51| Wohn- und Lebensräume, quasi in radikaler Fortsetzung des Kolonialisierungsvorbilds aus Schweden (Abbildung 15). Dabei existiert,
     eine weitere Parallele, für viele

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