Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur
von Dingen, die sowieso schon in der kulturellen
Sphäre zirkulieren. Produziert werden statt Kunstwerken neue Haltungen, neue Konsummuster und neue Wünsche. Es geht um die
Erfindung neuer Lifestyles und um die gesellschaftliche Funktion, die Grenzen des Begehrenswerten immer weiter zu verschieben
(vgl. Groys 2003). Hinzu kommt die Verwendung |41| beziehungsweise Umgestaltung von Produkten auf besonders interessante Art und Weise (vgl. Ders. 1998):
Artistically Modified Objects
(AMOs), gleichsam als zeitgenössische Version der Readymade-Strategie von Duchamp (vgl. Ders. 1992).
Abbildung 5: Stéphane Vigny, Perceuse à sauter, 2004 (Videostill)
(Quelle: http://palaisdetokyo.com/5milliards/modules.php#vigny, 03.06.2008)
Dieser Begriff der AMOs geht zurück auf den französischen Künstler Stéphane Vigny (im französischen Original
objets artistiquement modifiés
, also OAMs). Die zur Charakterisierung von Vignys Arbeiten genannten Referenzen, die das Pariser Palais de Tokyo anlässlich
seiner Ausstellung »Mécanique populaire« formulierte, sind mit den oben dargestellten Phänomenen frappierend deckungsgleich:
»Bricoleurs du dimanche, esthètes de la déco cheap et clinquante ou adeptes de la customisation automobile« (Palais de Tokyo
2006). Als Beispiel aus der Ausstellung eignet sich besonders gut die Videoarbeit »Perceuse à sauter« (Abbildung 5): Eine
in der Wand fixierte Bohrmaschine fungiert durch diese Modifikation nunmehr als elektrisches Trimmgerät. Der funktionale Nachteil
des elektrischen Kabels, der vor Jahren zu einem massiven Markteinbruch gegenüber schnurlosen Geräten geführt hat, wird auf
diese Weise in einen neuartigen Produktnutzen umgemünzt, den die konkurrierende Produktgattung der sogenannten
cordless
tools
angesichts ihres Konstruktionsprinzips gar nicht besitzen kann. Wir haben es also mit Subversion im ureigensten Sinn des Wortes
zu tun.
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Abbildung 6: Werbung für die Platte Bucci Bag von Andrea Doria
(Quelle: Anzeige von Southern Fried Records, in: Muzik No. 96, May 2003, S. 75)
Man könnte es folgendermaßen zusammenfassen: Als ebenso vorbildlicher wie unberechenbarer Konsument fällt dem Künstler auch
die Rolle zu, auf vorbildliche – und quasi professionelle – Weise zu hacken. Als Avantgarde der Ökonomie werden Künstler zu
Akteuren, deren Schaffen – das heißt deren AMOs – wettbewerbsstrategische Relevanz aufweist.
Spielarten des Ikea-Hacking
Betrachtet man die Beispiele für Hacks aus dem unternehmensnahen Bereich, so fallen zunächst die rein symbolischen Zweckentfremdungen
und Umdeutungen ins Auge. Insbesondere die stark mit Prestige aufgeladenen Luxusmarken laden zur Manipulation ein, aber auch
die Marken von global agierenden Konzernen verkörpern beliebte Ziele des »Brand Hacking« (Liebl/Ullrich 2002; Abbildungen
6 und 7).
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Abbildung 7: FCKF, London
(Quelle/Foto: Franz Liebl)
Auf der Produktseite mögen zwar Beispiele wie die despektierlichen Resteverwertungen von Designklassikern, zum Beispiel von
Eames-Stühlen (Abbildung 8), spektakulär erscheinen, die Bandbreite der oben genannten Phänomene von NID bis AMOs bildet sich
darin jedoch nicht ab. Demgegenüber bietet der schwedische Möbelkonzern Ikea angesichts der Ubiquität seiner Produkte und
Filialen, der Bandbreite seines Sortiments, aber auch angesichts seines Preisniveaus und seines spezifischen Geschäftsmodells
sowohl dem normalen Endkunden Inspiration und Reibungsfläche als auch zahlreichen Künstlern Material und Zielscheibe für ihre
Arbeiten.
Zweckentfremdungen von Ikea-Produkten existieren seit jeher. So wurde bereits in den siebziger Jahren publik, dass unter HiFi-Enthusiasten
ein bestimmter Ikea-Beistelltisch als klanglich überlegener Unterbau für den legendären Linn-Sondek-Plattenspieler gehandelt
würde. Während es in diesem Fall nur um eine einfache Umnutzung ging, versteckt sich heute hinter dem Etikett Ikea-Hacking
eine globale Bewegung von Ikea-Bastlern (Green 2007a; Lischka 2007), die ihre Ergebnisse beispielsweise auf www.ikeahacker.
blogspot.com stolz zur Schau stellen. Die hinter den Hacks stehenden Motivationen sind ambivalent: Zwar wird einerseits eine
dezidierte Abwehrreaktion gegen die schwedische Kolonialherrschaft in den Wohnungen (Düllo |44| 2000: 92ff.; Ders. 2006) manifest, man bedient sich aber weiterhin dankend des Ikea-Angebots als Rohmaterial.
Abbildung 8: Weiterverwertung eines
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