Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur
Zustand, seine Verschiebungen, seine Verdichtungen.« (Serres,
1987: 293f.)
Die Tücke der Objekte
Gegenstände, die sich parasitär in der Welt des Konsums verhalten, weisen eine irritierende, ambivalente Haltung auf. Sie
funktionieren vollständig innerhalb der Logik der Ware: Sie werden produziert, verkauft, gesammelt, ausgestellt; zwischen
Künstlern und Konsumenten herrscht Einverständnis über den Sinn dieser Objekte. Dennoch wagen sich diese Gegenstände so weit
vor, dass sie ihre Rezeption verkomplizieren und einen ironischen Subtext bereithalten.
Die Mode ist ein weiteres Feld des Konsums, das in den letzten Jahren von der Kunst beobachtet und bearbeitet wurde. Nah an
der Figur des Rebells erstellte Olaf Nicolai im Jahr 2000 seine
pirate edition,
bei der eine von dem Künstler ausgewählte Schneiderei in der ostdeutschen Kleinstadt Calbe den Auftrag erhielt, einen Anzug
von Prada sowie ein Hemd von Gieves & Hawkes nach Vorlagen aus Werbeanzeigen zu kopieren. Ein Modell trug der Künstler selbst.
Die Produktionsgeheimnisse der illegal kopierten Kleidung wurden in Form der Schnittmuster allen Lesern der Wochenendbeilage
einer regionalen Zeitung zur Verfügung gestellt (Fricke 2004). Markenbewusste Konsumenten in einem strukturschwachen Gebiet
konnten nun die Modelle der Nobelmarken an den überhöhten Preisen der Originale vorbei selbst anfertigen. Die Verknappungspolitik
des Modesystems wurde regionaldemokratisch ausgehebelt und das eigene Nachschneidern reduzierte den Konsum auf den preiswerten
Genuss der bloßen Marke. Der Teppich
Lenin: 8 Quadratmeter
, 2000, den Nicolai aus 8 Quadratmetern |73| eines Stoffes für Prada-Abendkleider erstellte, verknüpfte Lenins Idealvorstellung der Zuteilung von Wohnraum für eine Person
mit dem glamourösen Luxus der High Fashion. Die für die Ideologie der sozialistischen Sowjetunion wesentliche Einschränkung
des Konsums auf das Notwendige des Lebens wurde in der Installation mit den vom Markt genährten Wünschen nach mehr Glanz in
den Hütten überblendet (Nicolai 2003: 116).
Abbildung 1: Erwin Wurm, ohne Titel, 1997, Palmers series
(Quelle: Erwin Wurm 2002: 78)
Gegen die Konvention ging auch Erwin Wurm mit Modeartikeln um. So hatte er 1997 in einer Werbeaktion für die österreichische
Unterwäschefirma Palmers unter anderem hautfreundliche Bodys völlig gegen ihre Funktion über den Kopf gezogen oder die Beine
durch Ärmelausschnitte gesteckt (Abbildung 1). Diese
Palmers Series
, die die
One-Minute-Sculptures
des Künstlers vorwegnahm, erfolgte in völliger Übereinstimmung mit dem |74| Wäschehersteller (vgl. Wurm 2002: 78f.). Die Kleidung wurde konträr zu ihrer Funktionalität vorgeführt und geriet zum Bestandteil
eines skurrilen Körper-Bondages. Die Inszenierung exzentrisch gekleideter, umwickelter Körper machte den konfektionierten
Gebrauch von Kleidung lächerlich, gleichzeitig konnte sich die Herstellerfirma mit ihrem Mut zum Risiko von anderer, eher
klassischer Wäschewerbung abheben und somit die eigene Marke stärken.
Abbildung 2: GALA Committee, Melrose Place Art, TV-Phage
(Quelle: Auktionskatalog Sotheby’s, Primetime Contemporary Art. Art by the GALA Committee as seen on
Melrose Place, Beverly Hills 1998, Nr.7, unpaginiert)
Eine Zusammenarbeit mit dem Wirtssystem Fernsehen vollzog 1997/1998 die kalifornische Künstlergruppe GALA Committee mit der
amerikanischen Fernsehsendung
Melrose Place
. Die Künstler sahen sich durchaus in der Tradition des
Culture Jammings
, dennoch waren hier die Tendenzen einer auf beiden Seiten akzeptierten Durchdringung so stark, dass man eher von einer asymmetrischen
Kooperation sprechen konnte, aus der die Künstlergruppe als der effizientere Parasit hervorging.
Melrose Place
als Sinnbild leichter, amerikanischer Soap-Kost wurde mit intelligenten Objekten des Set Designs versehen, die sich widersprüchlich
bis kritisch zu den Inhalten der Fernsehproduktion oder auch der Institution Fernsehen verhielten. Die regelmäßige Ausstrahlung
der
Melrose-
Folgen sorgte für die Verbreitung des viralen Moments, das dann in einer Sendung als Kunstobjekt
TV-Phage
manifest wurde (Abbildung 2). Als verräterische Requisiten tauchten Kuscheldecken für |75| Schwangere auf, hinter deren plüschigem Ornament sich die Formel der Abtreibungspille RU 486 verbarg, chinesische Fastfood-Packungen
mit systemkritischen Parolen sowie eine Bar, deren Flaschenetiketten die gesamte trübe
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