Kontaktversuche
stimmt«, brummte ich verdrießlich. »Ich weiß nicht, was in mich gefahren war…«
Ich hatte das Gefühl, daß der Mann hinter meinem Rücken lächelte. Ich versuchte, ihn im Rückspiegel anzusehen, aber er saß nicht in meinem Blickfeld.
»Diese Leidenschaft wird bei den Menschen wohl als letzte verschwinden«, erwiderte er leise.
»Welche Leidenschaft?«
»Zu morden.«
Seine Stimme klang weich, ohne jeden Tadel.
»Nun, morden ist ein bißchen viel gesagt«, brummte ich beleidigt. »Eigentlich ist das Jagd.«
»Nun gut, Jagd«, pflichtete er mir bei. »Aber dabei geht doch ein Lebewesen zugrunde…«
Ich drehte mich um und sah ihn an. Er kam mir noch trauriger und trübseliger vor, seine Augen blickten zerstreut durch das Fenster irgendwohin.
»Sind Sie etwa Vegetarier?« fragte ich töricht.
»Nein«, antwortete er. »Ich sehe auch keinen Sinn darin. Vor Jahren haben wir die Pferde bis zum letzten schuften lassen, und wenn sie dann alt waren, den Schlächtern gegeben. Und trotzdem war das Land voller Pferde. Jetzt haben wir sie durch Traktoren ersetzt. Und was haben die Pferde dabei gewonnen? Nichts, versteht sich… Vielleicht gibt es in ein paar Jahrzehnten Pferde nur noch in den zoologischen Gärten.«
»So ist es, leider«, sagte ich.
»Ja, wirklich leider… Das Gute in der Natur ist unendlich schwer zu bestimmen.«
Nie hätte ich solche Worte von einem so einfach und bescheiden aussehenden Menschen erwartet. Und auf einmal fand ich es seltsam, daß ich bisher nie etwas von ihm gehört hatte. Wenn er, wie es aussah, irgendwo in der Nähe wohnte, wie hatte er da unbemerkt bleiben können? Auf jeden Fall hatte dieser Mensch wirklich etwas Geheimnisvolles an sich.
»Wohnen Sie hier in der Nähe?« erkundigte ich mich.
»Nein, nicht gerade«, entgegnete der Unbekannte.
»Ich dachte, Sie seien irgendwo hier aus einem Haus gekommen.«
»Nein, nein… Wieso?«
»Ihre Sachen waren fast trocken, als wir uns begegneten.«
»Ach ja, ich habe ganz vergessen, daß Sie sich auch mit Kriminalgeschichten befassen«, erwiderte er scherzend.
Das war nun wirklich zuviel. Ich drehte mich wieder um, unsere Blicke begegneten sich. Mir war in diesem Moment, als hätte ich bisher noch nie so einen gelassenen, durchdringenden Blick gesehen. Und auf einmal zuckte etwas in seinen Augen.
»Vorsicht!« rief er.
In seiner Stimme war kein Schreck, ich fuhr nicht zusammen. Erst im nächsten Augenblick merkte ich, daß der Wagen ins Rutschen gekommen war. Ich drehte mich schnell nach vorn. Es war gerade am Beginn einer langen und recht abschüssigen Gefällstrecke, die sich irgendwo in den Kurven verlor. Jetzt raste der Wagen ohne jede Steuerung abwärts. Ich war zu keiner Bewegung imstande. Solche Augenblicke völliger Lähmung hatte ich auch schon früher erlebt. Ich saß einfach hinter dem Lenkrad, und in mir war gar nichts – keine Angst, kein Gedanke, kein Vorgefühl. Ich begriff bloß, daß der Wagen von der Straße abgekommen war und in den Abgrund segelte.
Jawohl, segelte – dies ist wohl das treffendste Wort. Ich weiß noch, daß ich nicht einmal die Augen in Erwartung des furchtbaren Aufpralls schließen konnte. Und plötzlich bemerkte ich bestürzt, daß der Wagen, anstatt im Abgrund zu zerschellen, auf einmal die Schnauze hob und wie ein Vogel über die Schlucht hinschwebte. Ich hielt bloß das Lenkrad fest, das Auto beschrieb einen leichten Bogen, kehrte über die Chaussee zurück und setzte mit den Reifen weich, fast unmerklich auf dem Asphalt auf.
Einen Augenblick lang saß ich wie erstarrt da. Und mein erster Gedanke war natürlich, daß ich träumte. Aber nein – es glich in nichts einem Traum. Ich konnte mich an alles erinnern, sah deutlich den verschmutzten Asphalt, die herabgefallenen Blätter, das Wasser, das am ausgespülten Straßenrand ablief. Auch die auf den Telegrafendrähten sitzenden Vögel sah ich, hörte ganz deutlich das ferne Pfeifen eines Zuges, der durch den Paß fuhr. Aber deutlicher als alles andere sah ich den Abgrund rechts von mir und das trübe Wasser des Flusses, das von dem Unwetter lehmgelb war. Ein Traum war es nicht, aber vielleicht eine Halluzination? Nein, ich hatte noch nie etwas von Halluzinationen in normalem Zustand und bei geistiger Frische gehört.
In diesem Augenblick hatte ich den Mann hinter mir völlig vergessen. Plötzlich hörte ich seine Stimme, genauso ruhig und leise: »Nein, Sie brauchen nicht zu erschrecken… Alles, was geschehen ist, ist normal und wirklich…«
Ich fuhr
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