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Kontrollpunkt

Kontrollpunkt

Titel: Kontrollpunkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Albahari
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insbesondere die kosmische, denn die war ganz rein, unberührt von der menschlichen Bosheit und dem Neid. Die Schüsse hinter ihm wurden allmählich weniger und hörten bald ganz auf. Danach gab es noch zwei, drei Salven, mit denen man gewöhnlich die Verwundeten und die nicht mehr verwendungsfähigen feindlichen Soldaten tötet. Der Kommandant schüttelte sich vor der Bitterkeit, die plötzlich seinen Mund füllte, und gab eilig das Kommando zum Aufbruch. Zehn Minuten später mussten sie jedoch anhalten, weil der Kommandant sich erbrach. Er würgte mühsam und lange, während ihm kalter Schweiß im Gesicht stand. Sein Magen, obwohl längst leer, krümmte und verkrampfte sich immer wieder. Der Kommandant kniete neben einer Buche, ein Soldat stützte seine Stirn, bis er ihm befahl, es sein zu lassen. Sobald der Soldat seine Hand wegzog, kippte der Kommandant auf die Erde neben das Erbrochene. Was ihn anbetraf, war der Krieg schon beendet, und er hätte da für immer liegen bleiben können, aber die Wirklichkeit ließ ihm keine Zeit und mahnte zum Weitermachen. Deshalb riss sich der Kommandant zusammen und erhob sich, als wäre er gerade von den Toten auferstanden. Er betrachtete die kleine Gruppe vor sich: sechs Soldaten, zwei Zugführer und Mladen, der gerade in dem Augenblick blutüberströmt aus dem Gebüsch trat. Wo ist mein Stellvertreter?, fragte der Kommandant, aber niemand konnte ihm darüber Auskunft erteilen. Der war einfach verschwunden und Schluss. Da würden keine Fragen helfen, und wen sollte er auch fragen? Es gibt die verlogene und rührselige Vorstellung vom Krieg als der idealen Gelegenheit, Freundschaften zu schließen, sich aufzuopfern, bei sich die Bereitschaft zu entdecken, für Ideale zu sterben, aber in Wirklichkeit ist das nur eine Farce. Der Krieg ist ein Geschäft wie jedes andere, und die oben erwähnten Dinge entspringen nur dem Wunsch, die reine Wahrheit an einen entlegenen Ort zu verbannen, den sie erst verlassen darf, wenn sie sich der Wahrheit der Regierenden angepasst hat, was die reine Wahrheit nie akzeptieren würde, so wie sie es auch jetzt nicht tat. Meine lieben Soldaten, setzte der Kommandant an, verstummte aber gleich, weil er spürte, dass sich seine Augen mit Tränen füllten. Wie schon bekannt, hatte der Kommandant nichts gegen Tränen auf männlichen Wangen, er vertrat jedoch die Meinung, dass es nur bestimmte Augenblicke gab, in denen man in der Öffentlichkeit weinen durfte; in allen anderen war das Weinen von Männern unangebracht, und das galt ebenso für diesen Augenblick, in dem er sie alle, auch sich selbst, ermutigen sollte, die Kampfhandlungen zu beenden, und in dem er den Soldaten ans Herz legen wollte, nicht vorzeitig auf das Leben zu verzichten. Und so etwas tut man doch nicht mit Tränen in den Augen, oder? Der Kommandant pflückte einen Grashalm, kaute darauf und saugte so lange den Saft, bis dessen Bitterkeit ihn ernst stimmte. Meine lieben Soldaten, meine Mitkämpfer, Brüder, bald endet unsere Teilnahme an einem weiteren sinnlosen Krieg. Wir wissen nicht, wozu wir kämpfen, noch wer unser Gegner ist, und wenn wir ehrlich sind, wissen wir auch nicht, was uns daheim in unseren Häusern erwartet. Ich hoffe, es gibt sie noch, sie sind warm und unberührt, so wie wir sie zurückgelassen haben.

Die letzte Strecke unseres Wegs wird wahrscheinlich die schwierigste sein, weil da alle Teile unserer Streitkräfte zusammenkommen, die in Ermangelung eines Feindes nicht selten aufeinander einschlagen. Ich möchte euch jedenfalls raten, gleich was passiert, nicht zu singen. Es findet sich immer jemand, der es nicht mag, wenn gesungen wird, und sich dann an euch rächen will. Er hielt inne, er wollte noch etwas sagen, wusste aber nicht mehr, was. Die Soldaten spendeten ihm Beifall, daraufhin erlaubte er ihnen wegzutreten. In der Ferne hörte man schon das Brummen der Lastwagen und der Panzer, die offensichtlich nicht auf Mladens Finten hereingefallen waren, sondern vermutet hatten, er wolle sie auf eine falsche Fährte locken, und daher den richtigen Weg eingeschlagen hatten. Gleich sind sie da, mahnten Mladen und der Kommandant immer wieder und forderten die übrig gebliebenen Soldaten auf, auseinanderzugehen und endlich den Berg hinaufzusteigen, auf dem Weg, der am schnellsten zu dem Haus führe, das der Kommandant in einer seiner früheren Reden an die Soldaten erwähnt hatte, die damals, o weh, noch doppelt so viele waren wie jetzt. Die Soldaten traten an den

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