Kontrollverlust - Kontrollverlust
Laderäume. Hinter ihnen rauschte eine endlose Fahrzeugkolonne über die A5, und über ihren Köpfen donnerten im Minutenabstand zwei- und vierstrahlige Jets im Landeanflug Richtung Frankfurter Flughafen, die ausgefahrenen Fahrwerke schnitten mit ohrenbetäubendem Pfeifen durch die Luft. Der Spediteur blieb plötzlich stehen.
»Und wissen Sie, was mir noch mehr auf den Sack geht? Selbstabholer. Leute, die denken, nach über viertausend Kilometern Land- und Schiffspassage müssten sie ihre Ware die letzten fünfzig Kilometer unbedingt selbst chauffieren. Wir sind hier doch nicht bei ›Rudis Resterampe‹! Ich hatte hier schon Typen, die wollten zwei Harleys und eine alte Wurlitzer-Jukebox mit einem VW-Bus abholen. Die haben einen halben Tag rumgemacht, bis sie gemerkt haben, dass es nicht funktioniert. Warum überlassen diese Typen so was nicht gleich uns Profis?«
»Ist das die Kiste?«, fragte Wedel.
Sie standen beide vor einem rostigen Seecontainer.
»Korrekt«, sagte der Spediteur und blätterte leise mosernd in den Frachtpapieren.
»Ich dachte, die Dinger wären viel größer«, wunderte sich Wedel.
»Das ist ein Zwanzigzöller. Standard sind vierzig Zoll. Die Ladung ist laut TARIC-Code als Werkzeugmaschine deklariert. Eine Gewinderollmaschine, wenn Sie’s genau wissen wollen. Gewicht 1,8 Tonnen. Der Container ist versiegelt, Sie brauchen eine gerichtliche Verfügung, wenn Sie einen Blick reinwerfen …«
Wedel hielt ihm das Papier unter die Nase, bevor er den Satz zu Ende bringen konnte. Der Spediteur zog einen Seitenschneider aus der löchrigen Tasche seines Arbeitskittels, durchtrennte den Siegeldraht, entriegelte und öffnete die Klappen. Wedel schaute in den Container, schoss ein paar Fotos mit seiner Handykamera. Wenn ihm jemand erzählt hätte, dass diese seltsame Maschine Mohrenköpfe produziert, hätte er das ohne Bedenken geglaubt.
»Kriegen Sie das Siegel so wieder hin, dass er nichts merkt?«
»Bin ich Profi oder bin ich Profi?«, knurrte der Spediteur und verschloss den Container wieder. Wedel schaute auf seine Armbanduhr.
»Wo kann ich mich hier unauffällig im Auto auf die Lauer legen?«
»Stellen Sie sich da hinten neben den Bürotrakt, wo unsere Jungs vom Lager parken, da fallen Sie nicht auf«, antwortete der Spediteur. Er zögerte einen Moment und schaute Wedel über den Rand seiner verbogenen Brille skeptisch an. »Werden Sie ihn hopsnehmen, wenn er kommt? Ich meine, hat er richtig was ausgefressen?«
»Reine Routineobservierung. Vergessen Sie einfach, dass ich hier bin, fertigen Sie den Kunden ganz normal ab.«
»Normal«, nuschelte der Spediteur abfällig. »Jede Wette – der Kerl fängt gleich eine Diskussion wegen der Einfuhrumsatzsteuer an. Ich kann den Ärger schon riechen …«
Zwei Minuten später lümmelte Wedel quer im Fahrersitz seines 85er Scirocco ›White Cat‹ und ließ die Füße aus dem offenen Beifahrerfenster hängen. Die Zufahrt zum Speditionsgelände und dem Container hatte er gut im Blick, ihm würde also nichts entgehen. Er hatte kein gutes Gefühl bei der Sache. Klar, war schon irgendwie geil, direkt für Hoven und die Staatsanwältin zu arbeiten. Im Geheimauftrag Ihrer Majestät, sozusagen. Hatte er ja selbst eingefädelt, den Kontakt nach ganz oben. Er hatte natürlich hoch gepokert mit den Ergebnissen der Reifenprofiluntersuchung. Rünz’ Schwager Klaus Brecker war schließlich nur einer von zweiunddreißig Fahrzeughaltern in der Region, die mit dieser Geländebereifung herumfuhren. Sicher nur ein Zufall. Absurd, dass ausgerechnet Brecker mit dieser Sache in der Schlosserei etwas zu tun haben sollte. Aber wenn die Behrens und Hoven wussten, dass der Typ, der nachts in der Schlosserei war, hier und heute in der Spedition einen Container aus Übersee erwartete, konnte man davon ausgehen, dass schon einiges an Ermittlungen im Hintergrund gelaufen war. Sicher BKA. Spannende Sache. Und von der ganzen Angelegenheit mit dem Schlosser mal abgesehen, würde Rünz irgendwann pensioniert werden, da konnte man sich gar nicht früh genug als Nachfolger bei den Großkopferten in Stellung bringen.
Seltsam, er hatte nie einen Landrover Defender auf dem Parkplatz des Präsidiums gesehen. Wahrscheinlich nutzte Brecker ein anderes Auto oder den Bus für den Weg zur Arbeit. Wedel wusste nicht viel über den Schwager seines Chefs, hatte vielleicht ein- oder zweimal mit ihm geredet. Die Jungs und Mädels vom zweiten Revier arbeiteten zwar im gleichen Gebäude,
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