Kontrollverlust - Kontrollverlust
konzentriert mit einem Thema zu befassen, das nicht mit Tuning, Bodybuilding oder Fußball zu tun hatte. Außerdem hätte er sich für eine Unterbringung im Container aus Platzgründen von einigen seiner Magazine trennen müssen – unzumutbar. Zwei Minuten später hatte Rünz die Mappe in der Hand.
Ein dicker roter Stempel hatte das Wort ›confidential‹ auf die Pappe gebügelt – das fing ja schon mal gut an. Seit Hoven im Präsidium das Sagen hatte, waren ›Verschlusssachen‹ immer ›confidential‹, das klang irgendwie spektakulärer und internationaler. Das Deckblatt – eine Notiz von Hoven, ohne Datum, ohne Unterschrift, aber an der Handschrift eindeutig erkennbar.
Bitte diskret und zügig in Ordnung bringen!
In der Mappe waren keine weiteren Aufzeichnungen über Absprachen zwischen Hoven, der Staatsanwältin und Wedel – wenn die drei heimlich kooperierten, hatten sie die Korrespondenz über Mail und Telefon abgewickelt. Nein, alle Unterlagen hinter Hovens Merkzettel in dem zwei Zentimeter dicken Papierstapel waren in englischer Sprache geschrieben. Rünz stöhnte auf. Bei jedem verdammten Fall, den er in den letzten vier Jahren bearbeitet hatte, war er mit dieser verdammten Sprache konfrontiert worden. Irgendwann würde er sie lernen müssen. Vielleicht meldete er sich gleich in Kevins Grundschule an.
Er nahm die Mappe mit an seinen Arbeitsplatz, startete seinen PC, tippte im Browser ›www.leo.org‹ ein und nahm den Kampf auf. Eine halbe Stunde später hatte er zumindest den Sinn des ersten Dokumentes erfasst – eine Anfrage des U.S. Customs Service an die Bundeszollverwaltung, mit der Bitte, Inhalt und Empfänger eines Seecontainers zu identifizieren, der am 3. Oktober den Hafen von Los Angeles auf einem Frachter der Maersk Line mit Destination Bremerhaven verlassen hatte.
Die Neugier hatte ihn gepackt, Rünz kämpfte sich weiter durch die Unterlagen, ein Konvolut von ausgedrucktem Mailverkehr, Aktennotizen über Telefongespräche, Gesprächs- und Verhörprotokollen und schriftlicher Korrespondenz. Die Beteiligten: Das Eagle County Sheriff-Büro im US-Bundesstaat Colorado, die US-Zollbehörde, US Homeland Security, das Air Combat Command der US Air Force und FBI-Division in Denver, Colorado. Warum schickten die Amerikaner einen so detaillierten Report als Anhang an ein simples Ersuchen um Amtshilfe? Wahrscheinlich hatte eine übereifrige Mitarbeiterin der US-Zollbehörde bei der Mailanfrage die gesamte fallbezogene Korrespondenz angehängt, und eine nicht minder akkurate Kollegin der Bundeszollverwaltung hatte die knapp einhundert Seiten brav ausgedruckt und weitergeleitet. Rünz brauchte drei Stunden und unendlich viel Tipperei auf seinem Online-Übersetzer, um den Vorgang zumindest in groben Zügen zu erfassen.
Im April des Jahres 1997 war ein Kampfflugzeug der US Air Force aus ungeklärter Ursache in den Rocky-Mountains-Ausläufern in Colorado abgestürzt. Die Lokalisierung der Absturzstelle hatte Wochen gedauert, und bei der Bergung und Rekonstruktion des Wracks fehlten wichtige Teile der Bordbewaffnung. Die Suche nach diesen Teilen – die Akten gaben keine genauere Auskunft über die Art der Waffen – verlief ohne Erfolg. Die Air Force und die Bundesbehörden instruierten die lokalen Polizeistationen aller angrenzenden Counties, etwaige Hinweise auf den Verbleib der Wrackteile sofort weiterzuleiten. Dreizehn Jahre lang passierte überhaupt nichts, der Vorgang war einer unter vielen in den Aktenordnern des Sheriffbüros in Eagle, einer Kleinstadt dreißig Kilometer nordwestlich der Absturzstelle.
Am 30. September 2010 erschienen zwei Brüder, die in einer heruntergekommenen Farm einige Kilometer südöstlich von Eagle ihr ärmliches Dasein als Schrotthändler fristeten, in einer Kneipe in der Hauptstraße des Ortes, und begannen, sich zu betrinken und großzügig Lokalrunden zu spendieren. Aus dem kollektiven Besäufnis entwickelte sich eine Schlägerei, deren Teilnehmer den Rest der Nacht in zugigen Zellen verbrachten. Der County Sheriff nahm die beiden Initiatoren der Party am folgenden Tag genauer unter die Lupe und stellte erhebliche Mengen an Bargeld bei ihnen sicher, zu deren Herkunft die Brüder keine plausible Erklärung abgeben konnten. Auch eine Inspektion ihrer Farm, die im Wesentlichen aus einer Wohnbarracke und einem großen umzäunten Schrottplatz bestand, ergab keine strafrechtlich relevanten Anhaltspunkte – von kleineren Umweltsünden wie
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