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Kontrollverlust - Kontrollverlust

Kontrollverlust - Kontrollverlust

Titel: Kontrollverlust - Kontrollverlust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gude
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entspannte Stimme bemüht. Beide Hände rechts und links auf die Holzbank gestützt, versuchte er, seinen ausgetrockneten, fast schon mumifizierten Körper in die Senkrechte zu bringen, als er Breckers bratpfannengroße Pranke auf dem Oberschenkel spürte, die ihn mit Nachdruck zurück auf die Planken presste. Sein Schwager bewegte sich zum ersten Mal, seit sie Platz genommen hatten, er drehte den Kopf zu Rünz und schaute ihn an. Mein Gott, dachte Rünz, diese Augen. Er hat richtige Schweinsritzen, wie weiland Franz Josef Strauß. Diesen feisten, fleischigen, brutalen und gnadenlosen Killerblick eines CSU-Ortsvorstehers beim Anstich im Altöttinger Bierzelt.

    »Warum ist dein Assistent hinter mir her?«, fragte Brecker.
    Rünz’ Hirnmasse hatte sich längst in einen proteinreichen Eintopf verwandelt, der in seiner Schädelkalotte hin und her schwappte – er hatte alle Mühe, noch einen klaren Gedanken zusammenzubringen. Niemand schickte Wedel hinter Brecker her. Eine absurde Idee. War Brecker auch schon nahe am thermischen Totalausfall?
    »Was erzählst du da für einen Scheiß, bist du noch ganz dicht? Und nimm deine verdammte Pratze von meinem Bein, ich könnte schwanger werden.«
    Brecker grub seine Fingerspitzen in Rünz’ dünne Oberschenkel, es fühlte sich an, als steckte sein Bein in einem riesigen stählernen Schraubstock.
    »Verarsch mich nicht, Karl. Du bist mein bester Freund, aber versuch nicht, mich zu verarschen.«

     
    Breckers letzte Worte hatte Rünz nur noch als verzerrtes und schwaches Echo wahrgenommen, kurz bevor er das Bewusstsein verlor. Als er wieder zu sich kam, lag er auf dem Rücken, die Sicht war völlig verschwommen, als würde er durch eine Mauer aus Glasbausteinen schauen. Jemand schien seine Beine anzuheben. Eine Fratze schwebte direkt über seinem Gesicht, beängstigend und grotesk verzogen. Zwei Finger schoben sein rechtes Augenlid nach oben, dann spürte er weitere Fingerkuppen unter seinem rechten Ohr. Ein bunter Papagei flog ihm immer wieder dicht über das Gesicht und blies ihm mit seinen Flügeln wohltuend kühle Luftzüge um die Nase.
    »Der wird wieder«, sagte der Zyklop über ihm. »Nur ein kleiner Schwächeanfall. Riskiert eine ganz schön große Klappe für einen Anfänger.«
    Rünz hörte Gelächter. Sein Blick wurde allmählich klarer. Er erkannte den Saunameister, der sich mit dem Fächer über ihn beugte, und ringsherum einen Wald von nackten Beinen, stämmige, aufgeschwemmte Säulen mit dicken, violetten Krampfadergeflechten, behaarte dürre Stelzen, durchtrainierte, glatt rasierte und solariumgebräunte Sportlerwaden. Sein Blick wanderte höher bis unter die Handtücher, die sich die Saunagänger um die Hüften geschlungen hatten. Er hatte von seiner Position aus einen hervorragenden Blick auf eine bunte Auswahl an Fortpflanzungsorganen – die Gemächte der Männer starrten ihn an wie die Gesichter von Nasenbären mit bärtigen, aufgeblasenen Backen. Nur Breckers Gurke konnte er nicht entdecken.

     

     

     

     

23

    An Wedels Computer kam er ohne Passwort nicht ran, also musste er hoffen, etwas Schriftliches zu finden. Wenn Brecker recht hatte, und Wedel irgendein Süppchen hinter seinem Rücken kochte, würde er einen Hinweis finden. Und nach 23:00 Uhr war die Wahrscheinlichkeit gering, von einem Mitarbeiter dabei erwischt zu werden, wie er den Arbeitsplatz seines Assistenten durchsuchte.
    In der Rechten hielt Rünz eine offene Anderthalb-Liter-Flasche stilles Mineralwasser, die er sich auf dem Rückweg vom Jugendstilbad knapp vor dem Exitus durch Dehydrierung an der ARAL-Tankstelle in der Nieder-Ramstädter-Straße gekauft hatte, mit der Linken wühlte er in dem Rollcontainer unter Wedels Schreibtisch herum. Flex, Muscle & Fitness, Men’s Workout, VW Speed, Custom Car, X-treme Tuning, Kicker, Elf Freunde, PlayZone, GamePro, PC Action, dazu Proteinpulver, eine SV98-Schirmmütze und ein Sechserpack Red Bull – mit Wedels Vorratskammer hätte man einen mittelgroßen deutschen Bahnhofskiosk ordentlich bestücken können. Rünz’ Assistent bewahrte in seinem Container nichts auf, was nur entfernt mit Arbeit zu tun hatte. Der Kommissar versuchte, sich in seinen Gehilfen hineinzuversetzen. Wo würde Wedel Unterlagen aufbewahren, die sein Chef auf keinen Fall sehen durfte? Klar, mitten auf dem Schreibtisch. Nicht aus besonderer Raffinesse, sondern aus Gedankenlosigkeit. Wedel war einfach außerstande, sich länger als ein paar Minuten diszipliniert und

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