Kontrollverlust - Kontrollverlust
schien – sie ging immer langsamer! Die Siliziumkörner schienen jetzt einzeln und in Zeitlupe die Engstelle in der Mitte des Glases zu passieren, Rünz hatte das Gefühl, sie lachten ihn aus.
»Zehn Minuten? Bist du sicher?« Der Kommissar bemühte sich um einen unangestrengten Tonfall, obwohl seine Biodaten schon in den roten Bereich liefen.
»Drunter macht’s keinen Sinn. Man soll schon richtig ins Schwitzen kommen«, murmelte Brecker, dessen massiger, tropfnasser Leib wie ein Buddha auf der Holzbank hockte.
»Und das tust du dir jede Woche an?«
»Sonst bringt es nichts«, knurrte Brecker.
»Seit wann machst du das? Hast mir nie davon erzählt.«
»Du redest wie meine Exfrau«, grollte Brecker.
»Was ist los mit dir?«, beharrte Rünz. Er hatte schließlich einen Auftrag, von seiner Frau. »Du kommst nicht mehr auf den Schießstand, wir haben uns seit zwei Monaten keinen mehr reingelötet im Rühmanns. Honeymoon mit Janine, oder was?«
»Alles bestens. Will einfach nur meine Ruhe haben. Und saufen ist schlecht für die Konzentration.«
»Worauf zum Teufel willst du dich konzentrieren? Bist doch bis jetzt ganz gut ohne viel Denken durchs Leben gekommen! Ah – ich verstehe. Du hast irgendeine neue Geschäftsidee!«
Rünz war nachgerade euphorisiert von der Vorstellung, sein Schwager könnte ihm mal wieder eine haarsträubende Geldvermehrungsstrategie vorstellen. Normalerweise hasste er Breckers infantile Businesspläne, aber hier und jetzt hätte er sie als beruhigendes Stück Normalität empfunden. Aber Brecker saß einfach nur stoisch da und schwieg. Die Sauna füllte sich langsam, bald saßen sie Handtuch an Handtuch wie die Hühner auf der Stange.
»Was wollen die auf einmal alle hier?«, fragte Rünz.
»In zwei Minuten ist Aufguss«, grummelte Brecker. »Den nehmen wir noch mit.«
Rünz atmete auf. Aufguss – das klang gut. Nach Erfrischung und Abkühlung. Endlich, er war physisch bereits am Anschlag. Eigentlich eine archaische Methode, einen Ofen mit Wasser abzukühlen, dachte Rünz. Aber der Zweck heiligte die Mittel. Jetzt verstand er auch, warum sich die ganzen Weicheier erst kurz vor dem Aufguss in die Schwitzkammer trauten. Nur die Härtesten – wie er und Brecker – hielten es ohne Aufguss hier aus.
Auf dem obersten Rang saß er mit seinem Schwager, und bevor er ernsthaft in Erwägung ziehen konnte, schon mal in kühlere Regionen abzusteigen, war die Holzbude so voll mit nackten Leibern, dass er sich überhaupt nicht mehr bewegen konnte. Als Letzter betrat der Saunameister mit einem hölzernen Eimer und einer Schöpfkelle den Raum. Er trug als Einziger Arbeitskleidung – ein Handtuch um die Hüften – und rührte mit der Kelle eine undefinierbare Flüssigkeit in seinem Kübel um. Was Rünz verstörte, ja beunruhigte, war die Tatsache, dass dieser untersetzte Mann dünne weiße Handschuhe an den Händen und einen großen, asiatischen Fächer unter dem Arm trug. Er wirkte ein wenig wie eine Tunte, die sich in einen Swingerclub verlaufen hatte.
»Verdammt, Klaus«, flüsterte Rünz seinem Schwager zu. »Sind wir hier in so einem SM-Tuntenclub gelandet? Sag mir jetzt bitte nicht, du gibst draußen auf der Straße seit zwanzig Jahren den knallharten Dirty Harry und lässt dir abends hier im Darkroom die Rosette pudern.«
»Mach dich locker«, grunzte Brecker. »Entspann dich.«
Der Saunameister legte seine Utensilien ab und wandte sich an sein Publikum. »Ich wünsche Ihnen einen wunderschönen guten Abend, herzlich willkommen im Jugendstilbad Darmstadt. Mein Name ist Herbert Knöppke, ich werde Ihnen heute Abend einen Aufguss mit Sandelholz-Limonen-Extrakt bereiten. Sollte jemand während des Aufgusses Kreislaufprobleme bekommen und die Sauna früher verlassen wollen, bitte ich rechtzeitig um Handzeichen.«
Gott, das war ja schlimmer als im ICE. Wahrscheinlich hatten sie hier so einen Reformer wie Hoven als Geschäftsführer, der den ganzen Laden gnadenlos auf Kunden- und Serviceorientierung bürstete. Rünz hatte im Laufe der Jahre eine ausgewachsene Aversion gegen diesen Dienstleistungsterror entwickelt, er freute sich inzwischen über jedes Darmstädter Einzelhandelsgeschäft, in dem er muffig und unfreundlich abserviert wurde. Er beschloss einmal mehr, die Sache von der komischen Seite anzugehen.
»Sag mal, hast du nicht dein Handtäschchen draußen vergessen?«, rief er dem Saunameister zu. Der Erfolg war durchschlagend, er hatte die Lacher auf seiner Seite. Der Meister
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