Kontrollverlust - Kontrollverlust
Betonpantoffeln im Woog versenken lassen.
Stark orderte noch einen Caipirinha. Die Stimmung im Schlosshof war ausgelassen, und die kaffeehäutigen Girls boten eine großartige Show am brasilianischen Cocktailstand. Sie sangen und ließen ihre Hüften zu heißen Sambarhythmen kreisen, als wäre das Leben ein Sonnenuntergang in Rio. Es war einer dieser Momente, in denen alles stimmte – die Mädchen, die Musik, die Stimmung. Einer der Momente, in denen Stark gerne seine Dienstmarke auf Hoovers Schreibtisch geknallt hätte. Wie gerne würde er mit einer der glutäugigen Grazien in die Nacht hineintanzen – aber er hatte einen Auftrag. Wenn er Delgado in der JVA Weiterstadt eingeparkt hatte, würde er aufhören. Nur noch dieser Fall, dann war Schluss. Aber so lief das schon seit Jahren – immer nur noch dieser eine, aktuelle Fall.
Eine der geschmeidigen brasilianischen Sambakatzen reichte ihm seinen Caipirinha, ihre Fingerspitzen berührten seine, sie lächelte ihn an mit ihren vollen Lippen über porzellanweißen Zähnen. Stark drückte ihr einen Fünfziger in die Handfläche.
»Behalt den Rest. Wie heißt du, Kleines?«, fragte er mit sonorer Stimme.
»Letitia«, fauchte sie leidenschaftlich.
»Auf dich, Letitia«, knurrte Stark und setzte das Glas an, als Hoover sich auf dem Blackberry meldete.
Rünz hielt inne. Er dachte darüber nach, diese Letitia zu einer tragenden Figur auszubauen. Vielleicht als Callgirl, das sich in Delgados Auftrag an Stark heranmachte, um die CTU zu infiltrieren. Letitia konnte sich auch noch als nützlich erweisen, wenn es an die obligatorische ›Held-rettet-schöne-Frau-vor-dem-sicheren-Tod-Szene‹ ging. Vor seinem geistigen Auge spulte der Kommissar eine dramatische Szene ab, die in den reißenden Stromschnellen des Darmbachs vor dem Darmstadtium spielte. Das Angenehme am Schreiben von Romanen war ja, dass aufwendige Actionsequenzen nicht mehr kosteten als schnöde Liebesszenen.
Aber er konnte sich nicht recht konzentrieren, seine Gedanken schweiften immer wieder zu Brecker und seiner geheimnisvollen Waffe ab. ›Lieber Leichenteile aufsammeln, als gegen einen Kollegen ermitteln‹, lautete ein alter Leitspruch im Präsidium. Und wenn der Kollege gleichzeitig bester Freund und quasi Familienangehöriger war, erleichterte das die Sache nicht gerade.
Wedel war vorläufig kaltgestellt. Die Kollegen würden mit ihm – so hatte Rünz ihm erfolgreich klarmachen können – in der Präsidiumstoilette eine zünftige Gang-Bang-Party veranstalten, wenn herauskäme, dass er verdeckt gegen einen altgedienten, gestandenen Kollegen vom zweiten Revier ermittelte. Und mit seinem Rocco würden sie in der Schrottpresse Billard spielen. Der Kommissar hatte seinen Assistenten also in der Hand, und die Regeln für die zukünftige Zusammenarbeit waren klar: Keine Bulletins mehr an die Behrens oder Hoven, die Rünz nicht vorher redigiert und autorisiert hatte. Besser konnte es eigentlich gar nicht laufen. Er musste die Sache mit Brecker unter seiner Kontrolle behalten. So lange wie möglich. Was bedeutete dieser seltsame Kontakt nach Remscheid, und Wedels Andeutung mit dieser Straße? Rünz wollte es gar nicht so genau wissen. Aber er musste es wissen.
Er startete Google, gab ›Remscheid‹ und ›Stockder Straße‹ in das Textfeld ein, aber nichts passierte. Er probierte es zwei- oder dreimal, schloss anschließend den Browser und startete ihn wieder, fuhr schließlich den Computer neu hoch – ohne Erfolg. Ein Fall für den IT-Support. Er suchte auf dem Schreibtisch herum, irgendwo hatte er doch diese neue Servicenummer notiert – ah ja, da war sie ja.
»Guten Tag, Helpdesk Informationstechnik des Landespolizeipräsidiums Hessen, mein Name ist Konstanze Mückchen, was kann ich für Sie tun?«
Rünz zögerte. Die Stimme war ihm völlig unbekannt. Hatte er sich verwählt? Hatten die IT-Jungs vom vierten Stock eine neue Kollegin, von der ihm Brecker noch nichts erzählt hatte? Dann musste es wirklich schlecht um seinen Schwager stehen.
»Rünz hier, Ermittlungsgruppe Darmstadt City. Ich hab da ein Problem mit meinem Browser, könnte da schnell mal einer runterkommen?«
»Entschuldigen Sie, was meinen Sie mit ›runterkommen‹?«
»Na hier an meinen Arbeitsplatz, um sich das Problem mal eben anzuschauen.«
Frau Mückchen kicherte. »Das wird wohl nicht notwendig sein, Herr Rünz. Vielen Dank für Ihre Anfrage. Ihre Störungsmeldung ist in unserem Trouble-Ticket-System verbucht,
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