Kontrollverlust - Kontrollverlust
Lebte der Vater des toten Schlossers nicht auch in einem Altersheim in Kranichstein? Hatten sich Brecker und der Schlosser da vielleicht kennengelernt?
»Was war in diesem Container? Was hat Brecker da abgeholt in der Spedition?«, fragte Rünz.
»Wir wissen nichts Genaues«, sagte Wedel. ›Wir‹ – wen meinte er damit? Sich und die Staatsanwältin? Auf diese jungen Stecher musste man aufpassen wie auf Kampfhunde, sonst überholten sie einen in der Innenkurve. Wedel fingerte ein kompaktes Netbook aus der Umhängetasche, die über seiner Stuhllehne hing. Diese Berufsjugendlichen liefen ständig mit Umhängetaschen herum. Wedel startete das Maschinchen und drehte den Monitor zu Rünz.
»Das hier sind die Fotos, die ich vom Inhalt des Containers gemacht habe …« Er langte am Monitor vorbei auf die Tastatur und drückte eine Tastenkombination, nach deren Eingabe eine technische Explosionszeichnung auf dem Bildschirm erschien. Auf dem Stempelfeld sah Rünz das Logo des Konzerns General Electric. Es weckte unangenehme Erinnerungen in ihm, an eine Computertomografie im Alice-Hospital, an eine Diagnose, die ihn zwar erleichtert, aber nicht wirklich beruhigt hatte.
»… und diese Abbildung zeigt die GAU-8/A Avenger von General Electric, eine siebenläufige Gatling-Maschinenkanone im Kaliber 30 Millimeter, die Hauptbewaffnung der Fairchild-Republic A-10 Thunderbolt. Wenn man das Waffensystem komplett demontiert – Laufbündel, Munitionszuführung und -trommel, Antrieb –, ist das Ganze für den Laien nicht von irgendeiner x-beliebigen Produktionsmaschine zu unterscheiden, einem Extruder für die Kunststoffindustrie zum Beispiel. Sieh dir das an, die haben auf die Mündungen einfach Hydraulikschläuche draufgesetzt und mit Schlauchschellen festgezogen – so kommt keiner mehr auf die Idee, das könnten die Läufe einer Schusswaffe sein. Alles genial einfacher Fake, die perfekte Tarnung. Das Einzige, was in dem Container fehlte, war die Munitionstrommel.«
Rünz übernahm selbst das Kommando über die Tastatur und schaltete immer wieder hin und her zwischen den Fotos und den Konstruktionszeichnungen – Wedel hatte recht, jeder Zweifel war ausgeschlossen. Und diese Waffe war um einige Größenordnungen mächtiger als die zierliche Gatling, die er in der N24-Reportage gesehen hatte.
»Wie viel mag er für den Kram bezahlt haben?«, nuschelte Rünz, in Gedanken versunken.
»Kann ich dir sagen«, reagierte Wedel prompt. »Umgerechnet zweiundfünfzigtausend Euro. Er hat dafür zwei Lebensversicherungen gekündigt und eine Hypothek auf seine Eigentumswohnung aufgenommen.«
Verdammt, die hatten seinen Schwager jetzt schon komplett durchleuchtet. Da war was im Busch. Janine hatte wohl doch nicht übertrieben bei ihrer nächtlichen Krisendiskussion mit Karin.
»Das macht keinen Sinn«, sagte Rünz. »Brecker überweist doch nicht über fünfzigtausend Euro an irgendwelche Spinner in den USA, die ihm erzählen, sie hätten eine riesige Gatling im Kuhstall. Sie hätten ihm irgendeinen Schrott schicken können! So blöd kann nicht mal Klaus sein.«
»Du unterschätzt ihn, Karl.«
Karl. Verdammt, wie konnte er Wedel diese verfluchte Duzerei wieder abgewöhnen? Sie waren hier doch nicht in der Medienbranche oder beim Showbiz. Sein Assistent schien diese Aufwertung gegenüber seinem Vorgesetzten richtig auszukosten.
»Dein Schwager hat das ziemlich professionell abgewickelt, über Dokumenten-Inkasso. Ist eine spezielle Zahlungsform im Außenhandel, mit einem Haufen Papierkram. Die Bank spielt da so eine Art Vermittlerrolle beim Import-Export. Der Vorteil: Der Exporteur kann sicher sein, dass er die Knete bekommt, wenn er das Zeug losgeschickt hat, und der Importeur kann sich drauf verlassen, dass nur gezahlt wird, wenn er die Ware vor der Haustür hat. Brecker ist kein Risiko eingegangen.«
»Okay«, sagte Rünz. »Nehmen wir mal an, die beiden Typen haben den Deal mit Brecker über das Internet angebahnt. Warum sitzen diese zwei Idioten dreizehn Jahre lang auf ihren Flugzeugteilen, bevor sie den Kram im Web anbieten?«
»Einer der beiden hat seit einem Jahr eine Zivilklage am Hals, Körperverletzung, ist im Suff passiert. Der Kläger hat bereits einen vollstreckbaren Titel in der Tasche, der die beiden Haus und Hof gekostet hätte. Die brauchten dringend Geld. Es passt also alles zusammen, uns fehlen nur noch ein paar Puzzlestücke. Warum hat der Schlosser keine Aufzeichnungen über Breckers Auftrag, warum
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