Kontrollverlust - Kontrollverlust
meinem Sohn Schalung gebaut, Streifenfundamente für den Anbau drüben. War hektisch, zwei Stunden später sollte der Mischer kommen, und wir hatten die Bewehrung noch nicht komplett. Haben malocht wie die Ochsen. Über uns waren die Tiefflieger unterwegs, Amis, war normal damals, hat sich keiner drum gekümmert, waren wir gewohnt. Die rauschten an aus dem Nirgendwo, mal kurz gab’s richtig Krach über den Köpfen und weg waren sie wieder.«
Der Alte ahmte mit der Rechten die Flugbewegungen nach. Ein wenig fühlte sich Rünz erinnert an einen Fall vier Jahre zuvor, das Gespräch mit einem alten britischen Air-Force-Piloten, der an der Bombardierung Darmstadts im September ’44 teilgenommen hatte.
»Wir haben gar nicht weiter drauf geachtet. Aber dann kam einer, der klang anders. Viel näher, als wollte der direkt um die Ecke landen und sich beim Bäcker ein Butterhörnchen holen. Hat er ja auch versucht …«
Der Alte fingerte mit der knochigen Hand in der Tasche seiner Strickjacke, es klimperte glasig. Er zog einen Underberg heraus, schraubte die Ampulle auf, trank einen Schluck und ächzte zufrieden.
»Nach der ersten Explosion sind wir hinter unserer Schalung in Deckung gegangen. Ich hab gezittert wie damals im Juli ’43, als Zehnjähriger im Luftschutzkeller. Höllenlärm oben an der Straße, auch nach dem Aufschlag. Wie beim Silvesterfeuerwerk, nur lauter. Mein Sohn ist raus aus der Deckung, quer über das Nachbargrundstück nach oben, wollte schauen, ob er helfen kann. Hab ihn nach zwanzig Metern im Nebel aus den Augen verloren. Plötzlich hör ich was unsere Einfahrt runterrumpeln, ich dachte erst, das ist ein Rettungswagen oder Feuerwehr, die haben sich in dem Chaos und in der Nebelsuppe verfranst. Ich peile über die Schalbretter, da kommt aus dem Dunst eine riesige schwarze Trommel auf mich zugerollt, ich zieh den Kopf wieder ein, das Ding springt über den Böschungsrand, über meinen Kopf, und landet mitten auf der Bodenplatte, eiert noch ein paar Sekunden herum und bleibt mit einem Mal liegen. Ich dachte zuerst, das wär so’n kleiner Heizöltank, oder ’ne Regenwasserzisterne, Sie wissen schon, die Dinger, die man im Baumarkt kauft und im Garten verbuddelt, um Trinkwasser zu sparen. Hab mich erst mal nicht drum gekümmert, bin ins Haus, hab nach meiner Frau geschaut. Hab mir mit meinem Sohn diese Trommel erst ein paar Stunden später angeschaut, wir haben nicht schlecht gestaunt damals. Ein großer Metallzylinder, randvoll bestückt, fast unbeschädigt, ein Wunder bei dem Aufprall.«
Der Alte quälte sich aus dem durchgesessenen Sofa, schlurfte zur Schrankwand, nahm eine stattliche, über zwanzig Zentimeter lange Patrone mit rot lackiertem Projektil aus einer Schublade, schlurfte auf Rünz zu und überreichte sie ihm. »Eine hab ich behalten, als Andenken.«
Rünz nahm die Patrone entgegen, sie glitt ihm fast aus der Hand, weil ihn das extrem kopflastige Gewicht völlig überraschte. Er hatte, soweit er sich erinnern konnte, noch nie einen Gegenstand in der Hand gehabt, der eine so aberwitzige Relation zwischen Größe und Gewicht hatte. Der Kommissar dachte an Wedels Worte. ›Das Einzige, was in dem Container fehlte, war die Munitionstrommel.‹
»Ein Kern aus abgereichertem Uran«, sagte der Alte. »Deswegen ist das Projektil so schwer.«
Rünz legte die Patrone vorsichtig zurück auf den Wohnzimmertisch. »Ist das Zeug, ich meine, sind die Dinger …?«
»Radioaktiv? Nein. Gefährlich wird es nur, wenn die Projektile verschossen und beim Aufschlag pulverisiert werden.«
»Warum haben Sie den Fund nicht sofort den Sicherheitskräften gemeldet?«
Der Alte ächzte abfällig. »Die Amerikaner haben den ganzen Straßenzug abgesperrt, die haben sich hier aufgeführt wie die Besatzer. Haben am Anfang selbst die Leute vom Rettungsdienst nicht durchgelassen. Denen hätten wir noch nicht mal geholfen, wenn einer von ihnen nach dem Weg gefragt hätte. Wir waren stinksauer damals, haben die Trommel erst mal mit einer Folie abgedeckt. Wussten ja nicht, ob wir das nicht noch mal irgendwann als Beweismittel brauchen konnten. Ein paar Wochen später ging schon die heiße Diskussion los, von wegen uranhaltige Munition und so. Die Amis haben sofort beschwichtigt, von wegen ›nur Übungsmunition an Bord‹. Da wussten wir, dass wir ein Ass im Ärmel hatten. Ein paar Monate später gingen die ersten Zivilprozesse los, und wir hatten den schlagenden Beweis, dass die Maschine randvoll war mit scharfer,
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