Kontrollverlust - Kontrollverlust
Sache aufhören, bis kurz vor Schluss, er konnte sich am Tag X einfach so entschließen, nicht auf den Auslöser zu drücken. Wahrscheinlich würde er sogar die ganze Apparatur demontieren und abtransportieren können, ohne dass jemand Verdacht schöpfte. Die einzige Erinnerung an seinen abgebrochenen Racheakt waren dann einige zehntausend Euro Schulden. Nein, kommt nicht infrage. Er hatte einen langen und anstrengenden Weg hinter sich, und er war entschlossen, ihn zu Ende zu gehen.
Schon der Mailverkehr mit diesen verrückten Amerikanern war der reine Horror gewesen. Da Brecker kein Wort Englisch sprach, musste er alle Mailtexte durch Webprogramme wie Babelfish übersetzen lassen, eine Quelle permanenter Missverständnisse. Auf seine ersten Anfragen hatten die Amerikaner überhaupt nicht reagiert, erst als er mit bemerkenswerten Geldbeträgen gewunken und als vertrauensbildende Maßnahme einige Aufnahmen seiner privaten Aktivitäten mit Handfeuerwaffen geschickt hatte, ließen sie sich auf ihn ein. Waffennarren tickten doch überall gleich. Trotzdem war die ganze Sache irgendwie suspekt gewesen. Wie sollten zwei ganz normale US-Staatsbürger an eine – zugegeben – ramponierte, aber vollständige GAU-8/A Avenger Gatling Gun kommen? Die US Air Force würde solche Höllenmaschinen wohl kaum nach der Ausmusterung an einen privaten Schrotthändler verkaufen. Aber diese Typen wollten weder verraten, woher sie die Waffe hatten, noch, wo sie sie aufbewahrten. Brecker musste sich also auf die Fotos verlassen.
Eine der Fotoserien, die sie ihm schickten, zeigte Details des Munitionszuführungssystems. Sie hatten die Aufnahmen mit einer dieser neuen Digitalkameras geschossen, die über einen eingebauten GPS-Empfänger verfügten, und vergessen, die Koordinaten zu deaktivieren, die am unteren Bildrand automatisch eingeblendet wurden. Vielleicht hatten sie schlicht und ergreifend keine Ahnung, was diese Zahlen überhaupt bedeuteten. Brecker brauchte nur Google Earth und ein paar Mausklicks, um herauszufinden, wo die Jungs ihre Kostbarkeit versteckten – Eagle, eine Kleinstadt mitten in Colorado, nordwestlich der Sawatch-Gebirgskette, die zu den südlichen Ausläufern der Rocky Mountains gehörte. Nachdem Brecker im Mailverkehr die Kenntnis ihres Aufenthaltsortes durchblicken ließ, hatten sich die beiden schlagartig extrem kooperativ gezeigt.
Eigentlich fast schon magisch, wie gut sich eins zum anderen gefügt hatte. Wie Vorsehung, von höheren Mächten geplant. Der Alte in Remscheid, der leer stehende Büroturm in Idealposition zum Ziel. Die Idee mit dem Filmset für den Thriller hatte sich im Nachhinein als genialer Schachzug erwiesen. Wer auch immer sich im GE-Turm über die seltsamen Bauteile wunderte, die er über die Tiefgarage in den Lastenaufzug bugsierte und nach oben schaffte, war mit dieser Erklärung sofort zufrieden und ruhig gestellt. Mehr noch, er hatte Narrenfreiheit. Und ohne die beiden Jungs vom Sicherheitsdienst hätte er die ganze Sache nie gestemmt. Gleich in den ersten Tagen hatte er sich mit ihnen angefreundet, richtig den Dicken gemacht, berichtet, er sei ein Ex-SEK-Mann, der jetzt Filmproduktionsfirmen in Sachen Waffentechnik beriet. Die beiden hatten sofort angebissen, und als er ihnen dann noch aus seiner privaten Waffensammlung ein paar Preziosen mitbrachte und ihnen seinen Defender vorstellte, fraßen sie ihm aus der Hand. Sie halfen ihm bei der Montage des Laufbündels, das allein fast eine Vierteltonne wog, und beim Rangieren der mächtigen Munitionstrommel, dem einzigen Bauteil, das er für den Transport nicht hatte demontieren können.
Der Aufbau hatte den ganzen Mann gefordert, physisch und psychisch. Über vierzig Kilonewton Rückstoß entwickelte die Gatling bei maximaler Schusskadenz. Eine enorme Kraft, die in der Thunderbolt die Hälfte der Triebwerksleistung absorbierte. Brecker musste diese Kraft über die Lafette in den Stahlbetonboden überleiten, wenn er vermeiden wollte, dass ihm die ganze Konstruktion nach den ersten Schüssen gegen die rückwärtige Wand knallte. Er hatte Schwerlastdübel mit Injektionsmörtel im Boden versenkt, jeweils zwei für jedes der drei Lafettenbeine. Der Schlagbohrer hatte einen Höllenlärm verursacht und ihm einigen Ärger mit den Agenturen eingehandelt, die in den Geschossen unter ihm Fotoshootings veranstalteten. Ein Dübel vertrug alleine eine Querkraft von über zwanzig Kilonewton, rechnerisch befand er sich also auf der sicheren Seite. Und
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