Kopernikus 1
großen Moor, die Stadt Thyrs, die Stadt des alten Gottes Thor, ist damit erneut in den Brennpunkt des allgemeinen Interesses g e rückt. Herr Doktor Nevart, wie lautet Ihre Meinung d a zu?“
Olaf stotterte: „Ich … ich bin ehrlich bestürzt. Ja … betroffen und bestürzt.“
Der Reporter bedankte sich für das Gespräch.
Olaf blickte geistesabwesend vor sich hin. Die Anw e senheit von Ulf und Gunda hatte er vergessen. Er stützte sich auf die Panzerglasvitrine mit archaischen Bronz e dolchen. Daß eines der wertvollsten Exponate darin feh l te, drang nicht in sein Bewußtsein. Noch nicht.
Gunda und Ulf saßen auf der oberen Plattform eines der am Ufer vertäuten Arbeitspontons des Forschungsinst i tuts, das dem Moor-Museum angeschlossen war. Der Wind kräuselte das schwarze Wasser und fing sich im nahen Schilfgürtel. Die Sonne schwamm bleich in einem diesigen Himmel. Von dem etwa einen halben Kilometer entfernt stehenden sechseckigen Hangar drang von Zeit zu Zeit das Turbinengeheul eines der Luftkissenboote, die unter der Kuppelüberdachung gewartet oder überholt wurden, zur Plattform herüber. Ulf merkte von alledem kaum etwas. Er war in seine Überlegungen vertieft. Am Anfang seiner Gedankenkette stand Gundas Frage nach der Anzahl der Replikatoren, die er Vater seinerzeit zu Experimentierzwecken zur Verfügung gestellt hatte.
Es waren vier. Genauer gesagt, zwei Kunststoffdo u bles und zwei Silikonspezialmodelle mit selbsttätigem Energiekreis.
Ulf arbeitete als technischer Kaufmann in der Replik a torenbranche . An der Schwelle zum dritten Jahrtausend, als der Lieblingstraum der Science-fiction-Autoren i m mer noch nicht klappen wollte, nämlich das einwandfreie Klonen, die Klonzeugung per Zellfusion, hatte sich die Industrie auf die perfekte Fertigung von Doppelgängern im Holo-Reprintverfahren gestürzt. Sofern der Betreffe n de über das nötige Kleingeld verfügte, konnte sich j e dermann sein Double aus Kunststoff oder Silikonhaut pressen lassen. Diese Replikatoren wurden mit und ohne Atemmechanismus geliefert, computergesteuert oder mit künstlichem Stimmspektrum. Man konnte sie als Reis e begleiter, Schachpartner oder Judotrainer programmieren lassen. Sogar als Bildungsrobots. Die Leute waren wie verrückt nach diesen Dingern, die ihnen so etwas wie technische Unsterblichkeit vorgaukelten.
„Und wo bleibt bei diesen unheimlichen Reprints das Recht auf die unverwechselbare Persönlichkeit?“ fragte Gunda plötzlich.
„Die menschliche Persönlichkeit bleibt dabei unang e tastet, Gundamädchen , weil die Replikatoren nichts als ein Abklatsch sind.“ Ulf lachte kurz auf. „Weißt du, wo ich mein größtes Geschäft gemacht habe? – Jetzt in Ch i na!“
Gunda guckte ungläubig: „Was? Ein Achthundertmi l lionen-Volk schafft sich auch noch Doubletten an?“
„Die Chinesen orderten hauptsächlich die Standar d ausführung von Weiße Europäerin!“
„Wozu denn das?“
„Sie setzen sie mit Vorliebe als Putzteufel ein, Schw e sterherz.“
„Warte nur, eines Tages kommt die Kulturrevolution der Puppenroboter!“
„Meine edelsten Verkaufsrenner waren allerdings nachempfundene Kunstrepliken: Beethoven als Klavie r spielautomat und Goethe mit Spruchweisheiten-Kalendarium .“
„Es lebe der internationale schlechte Geschmack!“ Sie blinzelte nach dem Sonnenstand. „O Gott, wir haben uns ja richtig festgeplaudert. Jetzt muß ich mich aber beeilen. Capeila gallinago wartet!“
„Wer?“
Gunda erklärte es ihrem Bruder, während sie auf den Hangar zuschritten: „Ein Sumpfschnepfenpärchen, dem ich auf der Spur bin. Ich nehme mir den kleinen Moor-Rover.“
„Paß bloß auf dich auf, Mädchen!“ Ulf sah richtig b e sorgt drein.
„Keine Sorge, ich habe mein Funktelefon dabei!“ Sie klopfte auf die kantig ausgebeulte Brusttasche ihres Overalls . „Ansonsten bin ich bei Parzelle F 8, bei den automatischen Vogelfangnetzen. Die elektronische No t rufsäule ist auch in der Nähe.“
„Na dann – gut Steg alleweg!“
Gunda war allein. Sie lauschte dem eigenartigen H u huhuhu der Sumpfschnepfen bei ihrem charakteristischen Balzflug, dem stets ein etwas unheimlicher Pfeifton folgt.
Mit F 8 wurde eine der kleinen natürlichen Inseln b e zeichnet, die sich infolge ihrer besonderen Untergrun d beschaffenheit im Moor behauptet haben. Diese lag am Rande einer Inwieke, wie die alten Fehntjer, die ehemal i gen Torfgräber, eine Kanalabzweigung ihrer Wasserstr a ßen nannten. Inzwischen
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