Kopernikus 1
Magengeschwür.“
„Ein Magengeschwür?“ Sie ließ ihn los. „Du hast ein Magengeschwür?“
Er nickte.
„Shiva! Warum hast du mir das nicht gesagt?“
„Warum?“ Er keuchte, vermied es jedoch, sie anzusehen. „Warum hätte ich das tun sollen?“
„Weil es eine Gefahr ist – für uns beide!“ Mit plötzlicher Nervosität zupften ihre Hände an dem Stoff ihres Sprunganzuges. „Hast du nichts Stärkeres als das?“ Die Antazidpillen schwebten langsam zu Boden.
„Konnte ich mir nicht leisten.“
Sie biß sich auf die Zunge und sagte so leise sie konnte: „Glaubst du, es blutet jetzt?“ Sie hatte nur wenig über Magengeschwüre gelesen, doch genug, um seine Angst zu verstehen. Ein Durchbruch konnte fatal sein, wenn keine ausreichende medizinische Hilfe zur Verfügung stand.
Er schüttelte den Kopf. „Kein Zeichen, wenn ich … Nein. Aber es wird schlimmer und schlimmer. Es hat noch nie so geschmerzt wie jetzt.“
„Was wir gerade dort unten gesehen haben – ich wußte nicht, daß dir das so viel zu schaffen macht. Ich dachte, du hättest schon oft solche Dinge gesehen …“ Völlig desorientiert brach sie ab.
„Und ich habe sie immer gehaßt! Ich hasse sie noch immer. Ich hasse es, weiterzumachen und immer weiter, ohne auch nur ein einziges Mal etwas zu finden, das einen verdammten Wert hat. Und immer allein …“ Tränen glitzerten in seinen Augen; ungläubig sah sie, wie sie zu fließen begannen und sein Gesicht mit einem schimmernden Film überzogen. „Wie diese Verrückten dort unten im Fels, die im Müll hausen und zentimeterweise sterben – wie dieses ganze verfluchte System!“ Sein Körper krümmte sich vor Schmerz und Frustration.
„Aber wir sind nicht wie sie.“ Unvermittelt erkannte sie die seltsam verdrehten Gefühle, die ihre Seele erfüllt hatten, dort unten im Fels, in der Dunkelheit.
„Wir sind noch schlechter dran. Wir hatten die Chance, ein Team zu sein, mehr als ein Team, ein …“ Erneut sah er auf zu ihr, und mit ihren Augen hielt sie das Wort zurück, wie sie es schon einmal zurückgehalten hatte.
„Nein. Niemals.“ Ihre eigene Stimme zitterte und verklang rasch. Sie schüttelte den Kopf, die Kraft ihres ganzen Körpers war nötig, um diese Bewegung zu forcieren. „Nicht nach dem, was geschehen ist.“ Sie wandte ihm den Rücken zu, nicht länger in der Lage, ihre Augen abzuschirmen. Die kahlen, elfenbeinfarbenen Wände seiner Kabine schienen sich in alle Ewigkeit zu dehnen. „Du wußtest das.“
„Du wußtest das! Du wolltest mir keine Chance geben. Darum hätte dieses Unternehmen niemals erfolgreich sein können, selbst wenn wir etwas Wertvolles gefunden hätten …“ Sein Atem pfiff zwischen seinen Zähnen. „Zum Teufel, verschwinde von hier. Laß mich allein.“
Sie verließ den Raum, schlug die Tür hinter sich zu und floh durch den engen Schacht in ihre eigene Kabine. Dort kauerte sie lange, mit geschlossenen Augen, begrub sich selbst in der tiefen Schwärze ihres Verstandes, bis sie jegliches Zeitgefühl verlor. Doch das Licht wartete auf sie, sie wußte, daß es wartete – in diesem Raum oder jenseits der Tür oder unter den Millionen Sternen, die endlos in den Tiefen der Nacht schienen. Sie war am Leben, sie konnte dem nicht entrinnen, und sie mußte nur die Augen öffnen, um das Licht zu sehen, es anzuerkennen, einen Akt des Vertrauens zu begehen. Und sie zu öffnen war im Endeffekt einfacher, als sie geschlossen zu halten … Sie öffnete die Augen und blinzelte schmerzerfüllt in die Helligkeit.
Sie lockerte ihren Klammergriff um das Metall und stieß sich von der Wand ab, zu der Truhe bei ihrem Bett und der Bettrolle. In ihrem Innern waren die wenigen Besitztümer, ohne die sie niemals wegging, darunter der kleine Karton mit den Übersetzungen der Bücher aus der Alten Welt – den Schlüsseln, die sie von der einsamen Beengtheit ihres Lebens befreit hatten und sie fremde Gedanken und andere Welten hatten teilen lassen. Sie löste die Schnur und öffnete das Kästchen, durchsuchte den Inhalt so vorsichtig wie möglich. Endlich hatte sie das Buch, das sie suchte, gefunden, das eine, das sie nicht mehr berührt hatte, seit Chaim Dartagnan es ihr bei ihrem gemeinsamen Aufenthalt auf Mekka zurückgegeben hatte.
Sie öffnete es, die Seiten hoben sich leicht ohne den Druck des Einbands. Sie blätterte sie zögernd durch, wahllos, während sie in der Luft hing. Ihre Augen fanden eine jener wohlbekannten Phrasen in diesem Essay, zu denen sie
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