Kopernikus 2
den Abzug durchgezogen hat.
„Sie kommen schon wieder in Ordnung.“
Er schließt die Augen. Die Turbine heult. Der Rotor ze r teilt die Luft. Wind pfeift an der Kabine vorbei und weht durch die offene Tür. Der Schmerz steigt und drängt alles andere aus seinem Bewußtsein, aber bald ist er verschwu n den.
Die Flüstervögel kreisen langsam über dem Moor, rufen ei n ander in ihren rauhen Pfiffen zu und erinnern sich an die vergangene Schlacht. Beim Abschlachten der Zoanier kon n ten sie nicht helfen, da sie in den engen Häusern der Festung hilflos waren; diese Aufgabe blieb den Brüdern überlassen. Das Moor war mit den brennenden Leichen der Drachen übersät.
Die Brüder stampften durch den Schlamm. Jemand sang ein altes Lied, das sie alle noch kannten. Die Worte klingen, als seien sie am falschen Ort, in der falschen Zeit. Ein zwe i ter Bruder schloß sich dem Lied an, sang mit. Bald sangen sie alle. Die Festung erhob sich turmhoch und bedrohlich über ihnen.
Jordan ging schnell. Seine Füße trieften vor Schlamm. Er hielt seine Waffe einsatzbereit und sang laut. Sein Kopf war voller Aufregung, die alle anderen Gedanken verjagte.
Irgendwie spürte er die Bewegung hinter sich.
Zur gleichen Zeit kam die Warnung in seinem Kopf: „Vorsicht, Mensch. Einer ist noch nicht ganz tot.“
Jordan fuhr herum und sah einen Drachen, der in langen, niedrigen Sprüngen auf dem Boden auf ihn zukam. Er ve r suchte, seine Waffe an die Schulter zu reißen, bekam sie aber nicht mehr rechtzeitig hoch, bevor der Drache ihn e r reicht hatte.
Dieser Drache aber war an dem Flammenwerfer nicht i n teressiert; wenn er es gewesen wäre, dann wäre Jordan schon tot. Der Zoanier hatte die Kontrolle aufgegeben, und so rannte der Drache nur noch aus einem Reflex heraus. Er griff Jordan nicht an, sondern rannte an ihm vorbei und stieß ihn beiläufig mit seinem Körper um.
Fünfzig Meter von der Stelle entfernt, an der Jordan im Schlamm lag, fiel der Drache rauchend um. Beide lagen still.
Warm.
Lange Zeit nur Wärme. Und Dunkelheit. Lange Zeit Dunkelheit. Dunkelheit und Wärme. Dunkelheit und Wä r me. Sonst nichts. Nur Dunkelheit und Wärme.
Dann schweben. Nässe, Dunkelheit und Wärme. Getragen von sanfter Flüssigkeit, geschaukelt von sanften Wellen. Treiben in der Wärme, in der Dunkelheit, in der Nässe. Die Welt eine warme, nasse, dunkle See. Die Massage der We l len wie peristaltische Zärtlichkeiten.
Friede … Wärme … Dunkelheit … Nässe … Schweben … ewig.
Bewegung. Ausstrecken, strampeln, sich ausdehnen, sich vorbeugen, umdrehen, schlucken. Augen geöffnet, aber alles ist dunkel. Lungen schnappen nach Luft, aber überall ist Wasser, alles ist naß. Muskeln arbeiten, Glieder bewegen sich, Gelenke werden geschmeidig.
Wachsen. Die ganze Zeit hindurch größer werden. Fo r men entwickeln sich, füllen sich aus.
Druck. Eng, gedrückt, gestoßen, eng, zu eng, entsetzlich eng. Dann Freiheit, für einen Moment. Wieder eng, g e drückt, Druck baut sich auf, Kopf zwängt sich in die Enge, wieder zu eng. Immer wieder: eng, dann Freiheit. Eng, dann Freiheit. Immer mehr eingezwängt. Enger und enger. Bereit herauszuplatzen, in die Freiheit zu platzen.
Plötzlich Licht und Kälte.
Augen geöffnet, überall Licht. Lungen ziehen sich z u sammen und saugen die kalte Luft ein. Schreien, atmen. O h ne Behinderung in die Luft treten.
Erinnerungen beginnen sein Bewußtsein zu überfluten, langsam, Schicht um Schicht aufeinander aufbauend, wä h rend er langsam er selbst wird.
Er spürt weiche Haut an seinen Lippen. Die Milch fließt warm aus der Brust und füllt seinen Bauch. Er schläft, und trinkt dann wieder.
Er zieht sich auf die Füße hoch, hält sich mit einer Hand fest und fängt dann an zu laufen. Er stolpert zum anderen Ende des Sofas. Der kleine Hund quietscht auf, als er nach ihm greift, und leckt ihm dann das Gesicht ab.
Die Herbstluft ist klar, es liegt Frost in der Luft; auf dem Schulweg hält er manchmal an, um das Eis auf den Pfützen am Wegesrand zu zerbrechen. Lange Risse ziehen sich durch das Eis, und der Schlamm wird aufgerührt wie Kakao in Milch. Er kämpft mit anderen Jungen, die ihn ärgern, jagt den einen, stürzt sich auf den anderen mit wild schwinge n den Fäusten. Schließlich ist er unter ihrer versammelten Menge festgeklemmt. Das Atmen wird schwierig. Sein B e wußtsein schwindet.
Sie drängt sich gegen ihn. „Nein“, sagt sie, „so nicht. Du hast mir versprochen, daß du warten
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