Kopernikus 6
Kinder am allerwenigsten. Es sind bestimmt Gesichter von Geistern, warne ich ihn. Geister, die gerne Gwi werden möchten.
Wir hören der Stimme zu, die Doktor Stefanko den Monitor nennt. Es ist ein einschläfernder Singsang. Eine Frauenstimme, wie ich glaube. „U und Kuara, die letzten Neuzugänge in Carnival, Angehörige der letzten Stammesgruppe der Gwi, werden sich in unseren erstklassigen Einrichtungen bald eingewöhnen“, sagt die Stimme. Sie begleitet uns, wenn wir Wurzeln und Holz sammeln gehen.
Ein Leguan steckt seinen Kopf aus dem Steinwall und lauscht. Geräuschlos lege ich meine Holzlast hin. Dann bewegt sich meine Hand ganz langsam. So langsam, daß es fast keine Bewegung mehr ist. Ich greife zu. Gefangen! Kuara jubelt und klatscht in die Hände. „Beachten Sie die Hautfalten auf Wangen und Oberschenkeln“, sagt die Stimme. „Ebensolche befinden sich auf dem Hinterteil, jedoch wird U wie jede Gwi mit Selbstachtung ihren Kaross nicht in Gegenwart anderer ablegen, es sei denn beim Elentanz.“ Ich trage den zappelnden Leguan zur Hütte. „Wenn sie sich entkleidete, würden Ihnen die mächtigen Fettablagerungen am Steiß auffallen. Diese anatomische Besonderheit, ein Phänomen namens Steatopygie, kommt nur bei Buschmännern oder vielmehr Buschfrauen vor und dient zur Nahrungsspeicherung. Früher glaubte man …“
Nachdem ich dem Leguan das Genick gebrochen habe, ziehe ich den Kaross aus Echt-Oryx aus und binde ihn mit Gui-Fasern vor meine Hütte. Er gibt eine prima Tür ab. Ich habe noch nie eine Tür gehabt. Tuka und ich haben im Freien geschlafen und das Tshushi als Lagerraum benutzt. Kuara wird eine Tür haben. Eine Tür zwischen ihm und den Zuschauern.
Er wird auch Feuer haben. Ein Feuer, das Wärme und Nahrung gibt und an dem U singt. Ich sammle Stöcke von Kane und Ore und schneide sie männlich und weiblich zurecht, dann nehme ich Galligras als Zunder. Wie Tuka es immer gemacht hat. „Die Kennzeichen der Gwi sind ein niedriger, flacher Schädel, sehr kleine Brustwarzen, gewölbte oder senkrechte Stirn, büscheliges, sogenanntes Pfefferkorn-Haar, ein kaum vorspringender Unterkiefer …“ Ich drehe die Stöcke zwischen den Handflächen. Es scheint ewig zu dauern. Mir schmerzen die Arme. Ich will schon aufgeben, da raucht es auf einmal. Kuara hüpft schnatternd im Lager umher. Ich schaue auf das Feuer und lächle vor Freude. Aber es ist Furcht in der Freude. Ich werde Feuer zum Wärmen und Feuer zum Kochen machen, beschließe ich, während ich den Rauch zur Flamme entfache. Kein Festfeuer. Nicht ohne Tuka.
Ich röste den Leguan mit Eru-Beeren und Tsha-Gurken, die hier reichlich vorzukommen scheinen. Aber ich bin nicht Tuka, der mit Feuer und Lachen schnell bei der Hand war; das Feuermachen hat zu lange gedauert. Als die Echse erst halb gar ist, schnappt Kuara sie und reißt sie auseinander, indem er sie wie heißen Teig von einer Hand in die andere wirft. „Kuara!“ schelte ich und tue, als ob ich ärgerlich wäre. Er kichert und hebt die Echse mit baumelnden Eingeweiden an den Mund, um davon zu essen. Ich lächle wehmütig. Kuaras lachende Augen und Straußenbeine – genau wie Tuka!
„Die Gwi singen keine Schlachtgesänge oder Heldenlieder“, leiert die Stimme. „In ihrer Geschichte kommen keine Kriege vor. Doch besiegelte ironischerweise der südafrikanische Krieg im letzten Jahrhundert, an dem die Gwi unbeteiligt waren, ihren Untergang. Zwar sind kleinere Streitigkeiten durchaus an der Tagesordnung – selbst in einer Gesellschaft, die Gewalt ablehnt, zanken sich Eheleute –, aber Kämpfen wird als etwas Ehrenrühriges betrachtet. Wer kämpft, dem ist es mißlungen …“ Als ich aufschaue, sind an den Fenstern
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