Kopernikus 6
keine Gesichter zu sehen.
Schließlich färbt die Dämmerung das Gras grau. Kuara findet eine Perlhuhnfeder und ein Rohr; er lehnt sich gegen meine Beine und macht sich ein Zani. Es wird kühler. Ich entscheide, daß die Tür besser um unsere Schultern paßt als vor den Eingang des Tshushi.
Aus der untergehenden Sonne kommt eine Gestalt. Ich beschirme meine Augen mit dem Arm. Doktor Stefanko. Sie lächelt, nickt Kuara zu, der eine Nuß als Gewicht an seinem Spielzeug befestigt, und setzt sich auf einen Holzklotz. Sie lächelt immer noch, aber ohne Freude. Sie sieht mich streng an.
„Ich hoffe doch sehr, daß du dich um Kuaras willen nicht noch einmal so aufführen wirst wie heute nachmittag“, legt sie los. „Du bist dir doch wohl darüber im klaren, daß er … daß er sozusagen auf Probe bei dir ist. Wenn du Ärger machst, müssen wir den Jungen zurück in die Vorbereitungsräume schicken, bis du … bis du dich besser eingewöhnt hast.“ Sie tippt mit dem Zeigefinger gegen ihre Handfläche. „Du mußt deine Impulsivität im Zaum halten.“ Sie tippt noch einmal. „Und das gleich.“
Mit schräg geneigtem Kopf starre ich sie verständnislos an.
„Wie du deinen Kaross ausgezogen hast, bloß weil der Monitor sagte, du tätest das nie.“ Sie nickt wissend. „O ja, wir wissen es ganz genau, wann du zuhörst und wann nicht. Und diese scheußliche Szene mit der Echse!“ Sie verzieht das Gesicht und schüttelt sich. „Und dann die Sache mit dem Feuer.“ Sie deutet auf die Glut. „Man erwartet von dir, daß du hier lebst wie damals auf der Erde. Wenigstens tagsüber. Es war immer Männerarbeit, das Feuer zu entzünden.“
„Es waren immer Männer da.“ Ich zucke die Achseln.
„Das stimmt. Na ja, wir sind dabei, etwas zu arrangieren. In der Zwischenzeit halte dich an Nahrungsmittel, die du nicht zu kochen brauchst. Und stell die Heizung an.“ Sie geht zu dem Stein, läßt sich auf Hände und Knie nieder und dreht an einem der Knöpfe. Etwas beginnt zu summen. Sie setzt sich wieder auf den Holzklotz, lächelt und reibt ihre Hände über dem Feuer. Dann zieht sie eine Fotografie aus ihrer Hüfttasche und reicht sie mir. Ich drehe das Bild richtig herum. Da steht Doktor Morse mit dem Arm über Gais Schultern. Sein linker Arm umfaßt ihre Taille. Im Hintergrund sieht man die Landrover.
„Impulsiv“, sagt Doktor Stefanko, lehnt sich hinüber und schnipst mit dem Finger gegen die Fotografie. „Genauso hat Doktor Morse dich in ihren Notizen genannt. Sie betrachtete das als eine Tugend.“ Wieder hebt sich ihre Augenbraue. „Wir sind da anderer Meinung.“ Dann fügt sie stolz hinzu: „Sie war meine Großmutter, mußt du wissen. Du kannst dir vorstellen, daß ich ein mehr als professionelles Interesse an unserer südwestafrikanischen Abteilung hier in Carnival habe.“
Ich will ihr die Fotografie zurückgeben. Sie hält mich mit erhobener Hand zurück. „Behalte sie nur“, sagt sie. „Betrachte sie als ein Hochzeitsgeschenk. Das erste von vielen.“
In dieser Nacht schlafen Kuara und ich aneinandergeschmiegt im Tshushi, in den Kaross eingemummt. Er hält immer noch das Zani fest, obwohl er es nicht ein einziges Mal in die Luft geworfen hat, um es herabsegeln zu sehen. Vielleicht wird er es morgen tun. Morgen. Ein häßliches Wort. Ich starre die dunkle Erde an und spüre Sand zwischen meinen geballten Fäusten, während ich daliege. Ich frage mich, ob die Geister in den Himmelsfenstern mir mit irgendwelchen Erfindungen, durch die man bei Nacht sehen kann, beim Schlafen zuschauen. Ob sie in der Nacht zuschauen werden, wenn Gai auf meinen Rücken klettert und grunzt, während er mit mir macht, was Verheiratete tun.
Der Schlaf kommt schließlich. Ein unruhiger Schlaf. Ich merke, wie ich Kuara an mich drücke. Er sträubt sich etwas
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