Kopernikus 6
liest er nicht.“
„Dann in Nature.“
„Ich will sehen, was sich machen läßt“, sagte sie.
Die Dame, der ich aus dem Bus gefolgt war, hieß Jolyn Jimson, geb. Smith. Die Geschichte, die sie mir erzählte, war so irrwitzig, daß sie einfach wahr sein mußte. Sie wußte Dinge, die nur ein Fachmann oder jemand mit eigener Erfahrung wissen konnte. Sie gab mir Namen, Adressen und Erklärungen, außerdem verschiedene Detailinformationen. Und eine Jahreszahl: 1927.
Und einen Ort: Northern Mississippi.
Ich gab ihr mein Greenway-Buch und versprach ihr, sie anzurufen, sobald ich wieder in der Stadt wäre. An der Ecke, nicht weit von dem Haus der Dame, für die sie zweimal in der Woche putzte, ließ ich sie stehen. Jolyn Jimson war um die sechzig.
Den Dodo müssen Sie sich vorstellen wie ein gefiedertes Seehundbaby. Ich weiß, daß ihn das auch nicht annähernd beschreibt, aber es spart Zeit.
1507 entdeckten die Portugiesen auf dem Weg nach Indien die (damals noch namenlose) Inselgruppe der Maskarenen – drei Inseln, die ein paar hundert Meilen auseinanderlagen, östlich von Madagaskar.
Erst 1598, als der alte holländische Kapitän Cornelius van Neck auf sie stieß, bekamen die Inseln ihre Namen – Namen, die sich im Laufe der Jahrhunderte ein paarmal änderten; Holländer, Franzosen und Engländer gaben ihnen ungefähr in jedem Krieg einen neuen. Heute kennen wir sie als Rodriguez, Réunion und Mauritius.
Besonders charakteristisch für diese Inseln waren große, flugunfähige, dumme, häßliche, übelschmeckende Vögel. Van Neck und seine Männer nannten sie dod-arsen, „Blödärsche“, oder dodars, „Dummvögel“.
Es gab drei Arten: den Dodo von Mauritius, das echte, graubraune, krummschnäblige, tolpatschige Ding, das zwanzig Kilo und mehr wiegen konnte, den weißen, etwas schlankeren Dodo von Réunion und die Einzelexemplare von Réunion und Rodriguez, die aussahen wie sehr fette, sehr dumme, hellgetönte Gänse.
Alle Dodos hatten dicke Beine, einen großen, untersetzten Rumpf, zweimal so groß wie ein Truthahn, ein nacktes Gesicht und einen großen, langen, abwärts gebogenen Schnabel, der in einem Haken endete, der aussah wie ein hohles Linoleummesser. Ihre Flugfähigkeit hatten sie schon vor langer Zeit verloren, und ihre Flügel waren zu handgroßen Stummeln mit nur drei oder vier Federn daran degeneriert. Ihr Schwanz war gelockt und buschig wie der verspätete Einfall eines Kindes beim Dekorieren. Sie hatten absolut keine natürlichen Feinde. Ihre Nester bauten sie ungeschützt am Boden. Wahrscheinlich brüteten sie ihre Eier dort aus, wo sie sie gerade zufällig hinlegten.
Keine natürlichen Feinde, bis van Neck und seinesgleichen auftauchten. Die holländischen, portugiesischen und französischen Seeleute, die bei den Maskarenen vor Anker gingen, um ihre Vorräte aufzufüllen, fanden bald heraus, daß Dodos nicht nur dumm aussahen. Sie waren dumm. Die Männer konnten geradewegs auf die Dodos zugehen und ihnen einen Knüppel über den Schädel hauen. Und was noch besser war, man konnte die Dodos umhertreiben wie die Schafe. Die Logbücher der Schiffe sind voll von Eintragungen wie: „Zehn Mann an Land. Trieben ein halbes Hundert der großen, truthahnähnlichen Vögel in ihr Boot. Zum Schiff gebracht, wo sie auf dem Deck herumgehetzt werden. Mit dreien von ihnen kann man 150 Mann satt machen.“
Dennoch schmeckte das meiste vom Dodo, bis auf die Brust, nicht gut. Eine der holländischen Bezeichnungen für die Tiere war walghvogel, „ekelhafter Vogel“. Aber auf einem Schiff, das drei Monate auf See war, auf dem Rückweg von Goa nach Lissabon, konnte man sich kaum aussuchen, was
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