Kopernikus 6
schlammgrünen Augen belebt, seine scheckigen Sommersprossen weggetönt und sein fliehendes Kinn mit Lichtschreiberstrichen auf dem Schirm verbessert.
Damals, in den ersten Tagen bei CBA, habe ich an Max und seinem Image kaum jemals herumgemacht.
Für Max’ Eröffnungsnacht auf der Bundesröhre verließ ein Gleitbus seine Bahn. Es war ein Unfall, der für Max, der die Berichterstattung sofort selbst übernahm, wie maßgeschneidert war.
„Es passiert gerade!“ flüsterte Max. „Wir sind live in Cincinnati. Vor wenigen Sekunden hat ein TransCon-Bus mit einunddreißig Passagieren seinen Richtstrahl verloren. Unter uns brennt gerade ein Fuseltreibstofftanker, 75.000 Liter sind ausgelaufen. Dort vorn hat der Bus den Dreirad-Ford zerquetscht. Ihr könnt die aufgefahrenen Fahrzeuge hinten sehen, achtundzwanzig Stück. Der Fuseltreibstoff ist hochgegangen. Dort, da, da vorn ziehen sie gerade Verletzte aus dem Wrack …“
Drei Schwebekameras der CBA waren bereits zur Stelle, um die Übertragung durch unseren eigenen CBA- Hochsichtsatelliten zu ergänzen. Man konnte den letzten Funkspruch des Piloten kurz vor dem Unfall hören: „Hey! Cincy, bin von der Gleitspur ab …“ (eine andere Stimme, verzweifelt) „He, Naz, bleib auf der Spur …“ (Pilot) „klemmt, kann nicht auf Handsteuerung schalten … Junge! …“ (Cincy-Monitor) „neue Route auf Handsteuerungsspur …“ (Pilot) „Cincy, aufhören … verflucht … laßt los, verdammt, der Fluß da …“ (nicht identifizierte Stimme) „… Mmmmmmmmmmmmmmmmmmmm!“ Max lehnte sich vor. Ihr habt euch vorgelehnt und durch meine Zeitlupenwiedergabe den Sturz des Busses mitgefahren, ihn durch die Augen von Max gesehen, in der Hitze der Magnesiumexplosion.
„Wer ist tot?“ fragte Max. „Ist das einer von euch?“ Dröhnend: „Wer sind Sie? Wie heißen Sie?“ wie Gottes Stimme vom Himmel herab auf eine Frau, auf ein verkohltes Kind, am Ufer des Ohio zusammengekauert. „Kennen Sie die Namen der anderen Leute, die noch im Bus sind?“
„Ich bin Maxwell Todd, Sie sind jetzt live auf den CBA-Nachrichten.“ Und er stellte die Frage, die ihr von ihm hören wolltet: „Es heißt, deine Mutter sei tot. Wie fühlst du dich?“
Wir haben einen Sofort-Nielsen von 51,50 erreicht, 324 Millionen Röhrenfahrer gegen die 22 anderen Satellitennetze, alle mit Schwebelinsen, alle mit Live-Berichten. Max Todd war es, der den Unterschied ausmachte. Mit tanzenden Augen brachte er die Nachrichtenkabine in Aufruhr. Er boxte mich auf den Arm und sagte: „Gib mir einen aus, Sid! Was für ein Blitzstart! Ich gehe hoch, ich fliege!“ Sein Gesicht glühte noch immer von der Röte des Gefühlsfelds. Er knuffte mich und lächelte. Er wußte, daß ich wütend war. Wir hatten euch gefährlich hochgekitzelt. Wie Shadrach hatten wir euch in den lodernden Hochofen geschickt, in das Blütenmeer der Fuseltreibstoff flammen. Wir hatten euch die Hitze spüren und atmen lassen, hatten euch zu einer Schar verkohlter Leichen gemacht und euch am Schluß wieder auferstehen lassen.
Ich wußte von Anfang an, daß bei Max ein Stück fehlte. Er besaß überhaupt keinen Sinn für Moral. Er wertete nicht zwischen Gut und Böse. Schon bald machte ich den mißglückten Versuch, mit Morrie Bloom, dem Nachrichtenchef der CBA, darüber zu sprechen.
„Und wen interessiert in diesem Geschäft Gut und Böse?“ fragte Morrie, eine Zigarre mit Antikarzinomfilter im Mund. „Wenn er verbiegt, wenn er verändert, wenn er die Tatsachen verdreht, wer soll das denn merken? Ich mag den Jungen. In einer Woche sind wir schon drei Komma zwei höher als ProServe gekommen. Drei Komma zwei ist mir Gut und Böse genug.“ Er zielte mit der Zigarre auf mich und verlor dabei Asche. „Du hast ihn
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