Kopernikus 6
gesehen. Drinnen sieht es aus wie sieben Shangri-Las aus massivem Fels und Metall, sieben durch vier Kilometer hohe Mauern getrennte Täler, jedes in sich geschlossen, mit den anderen durch in Röhren verkehrende Züge verbunden. Die Talsohlen reichen wie durch Zauberei in den Himmel hinein, alles steht auf dem Kopf. Und es ist ruhig – soviel Schalldämmung, daß kein Maschinengeräusch nach innen dringt.“ Sie weinte wieder.
„Psyche verzehrt sich auf der Fahrt zu den Sternen selbst. Bis zur Ankunft wäre von ihr außer einem dreißig Kilometer breiten und zweihundertneunzig Kilometer langem Zylinder wenig übrig. Wie der Kern eines Apfels, und die Passagiere wären die angenehm lebenden Würmer – Sternenreisende. Sie werden jetzt fragen, warum, warum diese Menschen etwas so Wunderbares sabotiert haben? Weil sie blind sind, so blind, daß man es schon böse nennen kann. Blinde, armselig denkende, schwache Menschen, die alle großen Ideen hassen …“ Sie stockte. „Ich weiß nicht, was ihr von alldem haltet, aber vergeßt nicht, daß man euch etwas weggenommen hat. Ich weiß es. Ich habe hier den Beweis gesehen. Sabotage und Mord.“ Sie drückte auf den Knopf und wartete erschöpft auf die Antwort.
„Ser Turco“, erwiderte Kollert, „Sie haben zehn Stunden, um eine wirkungsvolle Kurskorrektur durchzuführen. Unserer Schätzung nach haben Sie noch genug Reaktionsmasse, um die Umlaufbahn zu vergrößern und die Erde um rund viertausend Kilometer zu verfehlen. Wir können nichts tun, als zu versuchen, Sie zu überzeugen …“
Sie hörte auf zuzuhören, versuchte herauszufinden, was hinter den Kulissen passierte. Die Erde würde sich kaum einer Drohung beugen, ohne zuvor nicht eine große Anzahl anderer Möglichkeiten ausgeschöpft zu haben. Während sie die wahrscheinlichste und wirkungsvollste Handlungsweise zu erraten versuchte, dröhnte Kollerts Stimme weiter.
Sie griff nach ihrem Helm und sandte eine kurze Botschaft unter völliger Mißachtung der Sendung von der Erde. „Ich gehe ein paar Minuten hinaus.“
In den letzten zwei Stunden war die Beschleunigung gleichmäßig geblieben, aber die jetzige Gewichtslosigkeit war genauso niederdrückend. Der große Ladestapler war voll mit zusätzlichem Treibstoff beladen, ferner mit einer Masse, an die William Porter nur äußerst ungern zu denken wagte. Da das Schiff zur Kurskorrektur gewendet hatte, konnte er den Mond im Erdlicht glühen sehen, eine strahlende Sichel, die so dünn war, daß sie beinahe einem Haar glich.
Er konnte sich ungefähr eine halbe Stunde lang entspannen, ehe die richtige Arbeit anfing, und nutzte die Zeit, um einen Abschnitt aus einem Roman von Anthony Burgess zu lesen. Soweit er sich zurückerinnern konnte, war er immer ein eifriger Leser gewesen, und er gestattete sich jetzt dieses letzte Vergnügen.
Wie die meisten Mondbewohner war Porter ein Geschel, sein Vater war Physiker, die Mutter Genetikerin. Er hatte sich aus einer romantischen Vorliebe heraus für die Pilotenlaufbahn statt für eine wissenschaftliche Karriere entschieden. Sie war entstanden, als er noch keine zehn Jahre alt war. Das Leben eines Piloten hatte etwas Aktives an sich und befriedigte ihn, und es hatte sich gezeigt, daß er sich für die Arbeit blendend eignete. Er hatte nie erwartet, mit einem Auftrag wie diesem betreut zu werden. Aber schließlich hatte er sich auch nie um Politik gekümmert. Selbst wenn er es getan hätte, wären die Auseinandersetzungen zwischen Geschels und Naderiten schwer festzustellen gewesen – sie waren nach Meinung der meisten Fachleute vor fünfzig Jahren beigelegt worden,
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