Kopernikus 6
und wir fühlten uns steif und spröde. Wir schlugen auf unsere Arme und Schenkel und stampften umher, um den Blutkreislauf in Gang zu bringen. Sterne funkelten am Himmel, wie Salzkörner auf schwarzem Porzellan. Ich stellte fest, daß ich sie immer noch nicht entziffern konnte. Die Tagpflanzen waren verschwunden, die Tagtiere in einen Starrkrampf verfallen. Die Nachtpflanzen brachen aus der Erde, genährt von den Überresten der Tagpflanzen. Sie wuchsen rasch, verdoppelten, verdreifachten ihre Höhe, während wir zusahen. Es waren hauptsächlich dicke, klebrige Büsche mit breiten, pfeilförmigen Blättern von matter purpurner und schwarzer Färbung, etwas über einen Meter hoch. Goth und ich gruben eine Anzahl davon aus, ohne die Wurzeln zu beschädigen, und legten sie auf die Plane, um die Tagpflanzen zu ersetzen, die bei der ersten Berührung mit der bitteren Abendkälte zusammengeschrumpft waren. Wir mußten mit wattierten Handschuhen arbeiten, denn die Blätter absorbierten gierig auch die geringste Wärme und brannten wie Trockeneis.
Dann waren wir wieder im Graben, und es war schlimmer als zuvor. Die Bewegung hatte ein wenig Erleichterung gebracht, aber ich spürte, wie die betäubende Panik zurückgekrochen kam, und die vorübergehende Erleichterung machte es noch schwerer, sie zu ertragen. Ich versuchte, ein Gespräch in Gang zu bringen, aber es erstarb in einsilbigem Grunzen, und die Stille saugte jedes Echo auf. Heynith überprüfte zum x-ten Male methodisch die Lasersteuerung. Er war angespannt; ich sah, wie seine Schultermuskeln sich strafften, wie seine Waden sich steinhart wölbten, als er sich gegen die Fußstützen des Sattels stemmte. Goth sah noch schlimmer aus als ich. Er war etwas jünger und für gewöhnlich energisch und fröhlich. Aber nicht in dieser Nacht.
Wir hätten miteinander reden, den Schmerz teilen sollen. Ich glaube, das war uns allen klar. Aber es ging nicht. Unsere eigene, ganz besondere Vertrautheit machte uns unbeholfen. Irgendwann einmal hatte jeder von uns einen Punkt erreicht, wo er reden mußte, wenn er nicht sterben wollte, sogar Heynith, sogar Ren. Und so hatten wir alle einmal geredet und zugehört, jeder von uns früher oder später in der einen oder anderen Rolle. Jeder von uns hatte seine Ängste, seine Träume und seine geheimen Erinnerungen über die anderen ausgegossen, bis wir einander allzu gut kannten. Es machte uns Angst. Jeder von uns hatte Angst, zuviel offenbart, zu viele Schranken niedergerissen zu haben. Wir hatten Angst vor der Verwundbarkeit, vor dem Messer, das sich die weichste Stelle des Bauches sucht. Wir alle trugen schon unsere Narben mit uns herum, und wir waren doppelt zurückhaltend. Und wir bereuten immer mehr, daß andere uns so hilflos, so verwundbar gesehen hatten. So richteten wir die Mauern wieder auf, massiver als zuvor. Und jetzt, da wir noch einmal ein Gespräch brauchten, konnten wir nichts mehr sagen. Wir waren einander zu nahe gekommen, um eine weitere Vertrautheit zu riskieren.
Visionen kehrten zurück, absinkend und wieder anschwellend, und überlagerten die Dunkelheit.
Das brodelnde Magma, wie es seinen heißen, nach faulen Eiern stinkenden Atem hervorspeit.
Der Kadett, sein Gesicht unmenschlich im Todeskrampf, das Blut läuft in Strömen über seine zerschmetterte Stirn, füllt eine Augenhöhle, blubbert um seine Nasenlöcher, schäumt auf seinen Lippen, und seine Lippen spannen sich, als der Kopf vor und zurück zuckt und auf die Erde schlägt, und werden dann schlaff, der Körper sackt zu Boden, der Mund klappt auf, Blut und Schleim strömten über die grabsteinhaften Zähne, rinnen über Kinn und Hals und durchtränken den Stoff der
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