Kopernikus 6
Feuer, das wir gemeinsam haben, um uns vor der Angst zu schützen. Wärme ist die einzige Antwort auf die alten, kalten Fragen.
So ging ich durch’s Leben, mein Junge. Ich habe Fehler gemacht und vieles getan, bin noch ganz schön herumgeschubst worden, habe ein wenig geliebt, und schließlich bin ich hier auf Kos gelandet, um auf den Abend zu warten.
Aber Nacht ist etwas Relatives. Sie endet immer. Wirklich, denn selbst, wenn Sie nicht mehr da sind, um es zu sehen, geht die Sonne doch immer wieder auf, und jemand wird da sein, um es zu sehen.
Es ist ein schöner, wunderbarer Morgen.
Es ist immer ein wunderbarer Morgen, irgendwo, selbst an dem Tag, an dem Sie sterben.
Sie sind noch jung – das tröstet sie noch nicht.
Aber Sie werden es lernen.
Hans-Dieter Marx Cola mit Schuß
Es war ein seltsamer Zufall, der Frank Melrose die todsichere Chance zur Verwirklichung bürgerlich-moralisch höchst verwerflicher, seinem eigenen Wohlbefinden jedoch äußerst zuträglicher Pläne offenbarte. Wenn man zwölf Jahre seines Lebens im Knast verbracht hat, ergreift man die erstbeste Gelegenheit, um wenigstens noch etwas davon zu erhaschen, was einem das mißgünstige Schicksal so lange vorenthalten hat. Allerdings ist zu oft dann die erfaßte Gelegenheit so windig, daß man bald wieder dort sitzt, wo man hergekommen ist – hinter Schloß und Riegel.
Für Frank Melrose jedoch schien sich eine Möglichkeit zu offenbaren, die ihm in der Tat eine sorgenfreie Zukunft garantieren konnte.
Aber den Ereignissen soll hier nicht vorgegriffen werden.
Zunächst stellte sich auch für ihn, als er sein erstes Bier in der Kneipe gegenüber der Strafanstalt hinunterschüttete, die Welt ziemlich trostlos dar. Seine besten Freunde saßen alle noch, und Familie hatte er keine mehr.
Er würde natürlich versuchen, einige der alten Verbindungen wiederaufzunehmen. Aber er war sich nicht so sicher, ob man ihn überall mit offenen Armen empfangen würde. Noch waren längst nicht alle Rechnungen beglichen.
Frank hatte das vierzigste Lebensjahr gerade überschritten. Er war von mittelgroßer Statur, hatte schütteres, dunkelblondes Haar und eine blasse Gesichtsfarbe, die mit seiner augenblicklichen Herkunft zusammenhing. Er trug eine billige Trevirakombination, bestehend aus einer hellgrauen Hose und einem dunkelblauen Jackett. Neben seinem Stuhl hatte er einen kleinen braunen Koffer abgestellt, der seine wenigen Habseligkeiten enthielt.
Es war zehn Uhr morgens, und er war der einzige Gast in dem dämmrigen Lokal. Der Wirt brachte ihm ein neues Bier und setzte sich neben ihn.
„Du kommst von drüben?“
Der Wirt nickte zur Anstalt hinüber. Frank zog an seiner Zigarette und schwieg.
„Hast du schon was, wo du hingehst? Ich hätt’ hier ’n paar Adressen. Sind Freunde von mir. Die würden so einem wie dir weiterhelfen. – Na ja, für die eine oder andere kleine Gefälligkeit.“
„Für Gefälligkeiten hab ich zwölf Jahre gesessen. Weil ich aus Gefälligkeit das Maul gehalten hab!“
Frank schüttelte ablehnend den Kopf.
„Bist schwer sauer, was?“ Der Wirt grinste. „Bist du übers Ohr gehauen worden? Bei meinen Freunden ist so was nicht drin, klar!?“
Er stand auf, trat hinter die Theke und zapfte sich selbst ein Glas.
„Ich bin dir ehrlich gerne behilflich. Wenn du kein’ hast, stehst du hier draußen doch echt aufm Schlauch. Und dann bist du so und so bald wieder drin.“
Frank ging hinüber zum Automaten, wo er sich eine weitere Schachtel Zigaretten zog. Dann kam er zum Tisch zurück und setzte sich wieder. Der Wirt bot ihm Feuer an.
Nach ein paar tiefen Zügen fragte er:
„Du weißt also was für mich?“
Der Wirt schlug ihm auf die Schultern.
„Ich wüßt’ schon was! Du kannst dich sogar
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