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Kopernikus 9

Kopernikus 9

Titel: Kopernikus 9 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Alpers
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begannen zu streiten, und Steve befahl ihnen beiden, den Mund zu halten. Schweigend kletterten sie auf eine langgezogene Klippe, die den Strand diagonal schnitt und ins Meer hinausragte, wo sie im Wasser verschwand.
    Tommy stand auf einem Felsblock und roch den nassen, salzigen Wind. Die Daleor waren dort draußen. Sie lebten im und unter dem Meer, und ihr atonales Singen drang schwach über das Wasser zu ihm her. Sie waren in großer Zahl unterwegs und ebenso unruhig wie die Leute auf dem Land. Er sah, wie sie über den kalten Ozean glitten, untertauchten und in den Gischtwirbeln der Wellen wieder an die Oberfläche kamen. Unvermittelt fühlte Tommy sich wieder lebendig, und er begann, selbst eine Geschichte zu erzählen.
    „Da war mal so ein Drachen, und der lebte weit draußen im Ozean, viel weiter draußen, als man sehen kann, da, wo es tiefer als sonstwas ist. Da gibt’s überhaupt keinen Boden mehr, und wenn man untergeht, dann sinkt man einfach immer tiefer und hört überhaupt nicht mehr auf. Aber der Drachen konnte sehr gut schwimmen, und deswegen machte es ihm nichts. Er konnte überall hin, wohin er wollte! Er brauchte bloß hinzuschwimmen, und so schwamm er eben herum, und er sah alles mögliche, versteht ihr? Scheiße! Er konnte nach China schwimmen, wenn ihm danach war! Er konnte zum Mond schwimmen!
    Aber einmal schwamm er gerade so rum, und plötzlich hatte er sich verirrt. Er war ganz allein, und er kam in den Hafen, da draußen bei den Inseln, und er war es nicht gewohnt, so nahe an die Menschen heranzukommen. Er war wirklich ein großer Drachen, versteht ihr, und er sah aus wie eine riesige Schlange, mit lauter Schuppen und so’n Zeug, und er kam in unseren Hafen, ganz tief unter Wasser.“ Tommy sah den Drachen vor sich, groß und dunkel und schlangenhaft, wie er durch kaltes, tiefes Wasser schwamm, das wie schwarzes Glas war, und seine rauchig-roten Augen loderten wie Laternen unter dem Meer.
    „Und dann taucht er auf, und da ist da so ein Hummerboot, wie das von Eddies Vater, und der Drachen hat noch nie ein Hummerboot gesehen, und da schwimmt er hin und reißt das Maul auf und beißt es mitten durch, mit seinen riesigen Zähnen, er beißt es in zwei Teile, und die Leute, die drin saßen, fallen ins Wasser …“
    „Hat er sie gefressen?“ wollte Bobbie wissen.
    Tommy überlegte, und als ihm klar geworden war, daß ihm die Vorstellung, wie der Drachen die Hummerfischer auffraß, nicht gefiel, sagte er: „Nein, er hat sie nicht gefressen. Er war nicht hungrig, und sie waren sowieso zu klein. Also ließ er sie schwimmen. Und dann war da noch ein Hummerboot, und dessen Besatzung hat sie aus dem Wasser gezogen …“
    „Er hat sie gefressen“, beharrte Steve mit trauervoller, philosophischer Gewißheit.
    „Jedenfalls“, fuhr Tommy fort, „der Drachen schwimmt weiter, und er kommt näher ans Land, versteht ihr, aber jetzt ist ein Schiff von der Marine hinter ihm her, ein großes Schiff, so wie das, was wir am Gedenktag immer besichtigen, und es schießt auf den Drachen, weil er das Boot entzweigebissen hat. Er schwimmt so schnell er nur kann, aber das Schiff ist direkt hinter ihm, und er kommt dahin, wo das Wasser nicht mehr so tief ist.“ Tommy sah, wie der Drachen dahinjagte; seine roten Augen hetzten hin und her und suchten nach einem Fluchtweg. Plötzlich hatte er Angst um den Drachen.
    „Er schwimmt, bis er kein Wasser mehr unter sich hat, und es sieht so aus, als ob sie ihn wirklich kriegen. Aber er ist schlau, und bevor das Schiff um die Spitze da drüben herumkommen kann, wirft er sich auf den Strand, hier auf diesen Strand, und er verwandelt sich in einen Felsen, nämlich in den Felsen, auf dem wir jetzt stehen, und als das Schiff kommt, sieht man keinen Drachen mehr, sondern bloß noch einen Felsen, und da geben sie auf und fahren zurück zum Stützpunkt. Und irgendwann, im richtigen Augenblick, wenn der Mond scheint oder so was, dann wird dieser Felsen sich wieder in einen Drachen verwandeln und wegschwimmen, und wenn wir dann zum Strand kommen, gibt’s hier keinen Felsen mehr. Vielleicht verwandelt er sich gerade jetzt.“ Er schauderte bei dem Gedanken, und fast fühlte er, wie der Stein unter seinen Füßen schmolz und sich verwandelte. Er empfand eine wilde Freude darüber, daß er dem Drachen noch einmal aus der Klemme geholfen hatte. „Jedenfalls ist er jetzt ein Felsen, und so ist er davongekommen.“
    „Er ist nicht davongekommen“, knurrte Steve in einem

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