Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kopf in der Schlinge

Kopf in der Schlinge

Titel: Kopf in der Schlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
Vom Netzwerk:
seine wechselnde Schattierung zu bewundern. Dann ging ich ins Schlafzimmer zurück und sah mich noch einmal um. Ich nahm meine Pistole aus der Reisetasche und versteckte sie zwischen der Matratze und den Sprungfedern am Kopfende des Betts. So würde ich zwar niemanden überlisten, aber zumindest hätte ich die Waffe in Reichweite. Ich hielt es für unklug, in dieser Stadt ein Schießeisen spazierenzutragen, erst recht ohne die entsprechende Erlaubnis. Schließlich war nichts mehr zu tun, als tief durchzuatmen und mich am Abendessenstisch zu präsentieren.
    Selma gab sich zurückhaltend. Nachdem sie ihren Willen durchgesetzt hatte, verblüffte mich ihre Art. Ich war wieder in Nota Lake und wohnte bei ihr im Haus, was das letzte war, was ich wollte. »Ich habe keine großen Umstände gemacht. Ich hoffe, es ist Ihnen recht«, erklärte sie.
    »Aber sicher.«
    Sie brauchte einen Moment, um ihre Zigarette auszudrücken und die letzten Rauchschwaden seitlich auszustoßen. Für einen Raucher bedeutet das Etikette. Wir zogen unsere Stühle heraus und setzten uns an den Küchentisch.
    Angesichts meiner gewohnten Ernährung ist ein selbstgekochtes Essen normalerweise ein Genuß für mich. Oder zumindest dachte ich das, bevor ich mit der Mahlzeit konfrontiert wurde, die Selma zubereitet hatte. Dies war die Speisenfolge: Eistee mit bereits eingerührtem Süßstoff, ein grünes Wackelpeter-Quadrat mit Obstsalat und einem durchgezogenen Streifen Miracle Whip, Eisbergsalat mit Dressing aus der Flasche, das die Farbe eines Sonnenuntergangs aufwies. Zum Hauptgang gab es Instant-Kartoffelbrei mit Margarine und eine dicke Scheibe Hackbraten, die in verdünnter Champignoncremesuppe schwamm. Während des Essens stieß ich mit der Gabel auf mehrere Stellen trockener Kartoffelbreiflocken. Der Hackbraten erinnerte mich massiv an etwas, das im Perdido County Jail aufgetischt wird, wo eine komplette (ausgesprochen gefürchtete) Sonderstrafe »auf Hackbraten« hieß. »Auf Hackbraten« bedeutet, daß ein Häftling zweimal täglich Hackbraten mit zwei Scheiben matschigem Weißbrot erhält, dazu lediglich Leitungswasser. Der Hackbraten, eine Fünfzehn-Zentimeter-Scheibe aus Truthahnfleisch, Kidneybohnen und anderen eiweißhaltigen Füllstoffen, wird auf etwas serviert, das dem Namen nach unter Bratensoße läuft. Das Gesetz schreibt vor, daß der Häftling jeden dritten Tag drei normale Mahlzeiten bekommen muß, danach geht es wieder zurück zum Hackbraten. Im Vergleich zu Selmas Version kam mir ein schlichter Big Mac vor wie ein Gourmetmahl. Vor allem, da ich genau wußte, daß sie Brant anders ernährte.
    Selma schwieg während des Essens, und ich hatte auch nicht viel beizutragen. Ich kam mir vor wie eines dieser Ehepaare, die man in Lokalen sieht — sie sehen sich nicht an und sagen kein Wort. Sowie wir mit dem Essen fertig waren, zündete sich Selma eine Zigarette an, damit ich auch ja keine Minute den Teerstoffen und den giftigen Gasen entging, die über den Tisch wehten. »Möchten Sie Kaffee oder Nachtisch? Ich habe eine schöne Kokosnuß-Cremetorte im Gefrierschrank. Die ist in einer Minute aufgetaut. Ich kann sie in die Mikrowelle schieben.«
    »O Mann, ich bin pappsatt. Das war prima.«
    »Frieren Sie? Ich habe Sie frösteln sehen. Ich kann die Heizung hochdrehen, wenn Sie möchten.«
    »Nein, nein. Mir ist mollig warm. Es war wunderbar.«
    Sie streifte ihre Zigarettenasche am Tellerrand ab. »Ich habe mich noch gar nicht nach Ihren Fingern erkundigt.«
    Ich hielt die rechte Hand in die Höhe. »Sie sind noch ein wenig steif, aber es geht schon besser.«
    »Na, das ist ja schön. Was haben Sie jetzt vor, wo Sie wieder da sind?«
    »Das habe ich mir gerade überlegt«, sagte ich. »Ich weiß nicht, was ich von der Sache halten soll, und ich möchte nicht, daß es noch weiter eskaliert, aber ich glaube, ich habe einen Hinweis auf das, was Tom belastet hat.«
    »Tatsächlich?«
    »Nachdem wir heute morgen miteinander gesprochen haben, habe ich jemand anderen angerufen. Ohne ins Detail gehen zu wollen...« Ich hielt inne. »Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen das sagen soll. Es ist irgendwie heikel.«
    »Herrgott noch mal! Sagen Sie’s einfach.«
    »Es hat den Anschein, als hätte Tom einen Kollegen verdächtigt, an dem Doppelmord beteiligt gewesen zu sein, den er untersucht hat.«
    Selma sah mich an und blinzelte, während sie die Information auf sich wirken ließ. Sie nahm einen tiefen Zug aus ihrer Zigarette und blies einen scharfen

Weitere Kostenlose Bücher