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Kopf in der Schlinge

Kopf in der Schlinge

Titel: Kopf in der Schlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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zurechtzukommen. Aus meinem begrenzten Erfahrungsschatz heraus schien mir der gefrierende Regen extrem gefährlich, da er die Straße so glatt machte wie eine Schlittschuhbahn. Manchmal merkte ich, wie mein Wagen seitlich ausbrach, dann bremste ich auf Schneckentempo ab. Das abgestorbene Gras am Straßenrand war steif geworden, und leichte Schneeverwehungen häuften sich auf ihm. Selma hatte mich dazu überredet, mit ihr zu Abend zu essen. Ich lasse mich in Essensfragen leicht beeinflussen, nachdem ich in den letzten Jahren von Rosies kulinarischer Herrschsucht konditioniert worden bin. Wenn ich von Frauen mit einem gewissen selbstherrlichen Tonfall herumkommandiert werde, tue ich, was man mir sagt, und bin weitgehend außerstande, mich zu wehren.
    Ich parkte vor Selmas Haus, schnappte mir meine Reisetasche und ging mit gebeugtem Kopf und eingezogenen Schultern eilig auf die Veranda zu, als könnte ich so der Mischung aus peitschendem Regen und schneidendem Schnee entgehen. Ich klopfte höflich und trat geduldig von einem Fuß auf den anderen, bis sie die Tür öffnete. Wir tauschten die üblichen Floskeln aus, während ich in die Diele trat und meine Füße auf einem Lumpen trocknete. Ich schlüpfte aus der Lederjacke und streifte beim Gedanken an den nagelneuen Teppich die Schuhe ab. Das Haus war ofenwarm und dunstig vom Zigarettenrauch, der in den hermetisch gegen den Winter abgeriegelten Räumen hing. Ich erschauerte vor Erleichterung darüber, der Kälte entronnen zu sein. Ich trottete hinter Selma her, die mich ins Gästezimmer führte. »Lassen Sie sich so viel Zeit, wie Sie wollen, um sich frisch zu machen und auszupacken. Ich habe etwas Platz im Schrank frei gemacht und eine Schublade für Ihre Sachen ausgeleert. Ich bin draußen in der Küche und mache das Abendessen fertig. Sie kennen sich ja hier aus, aber rufen Sie ruhig, wenn Sie etwas brauchen.«
    »Danke.«
    Nachdem sich die Tür hinter mir geschlossen hatte, sah ich mich voller Unbehagen im Zimmer um. Der Teppich hier war quietsch-rosa und hatte einen Flor aus Baumwollvelours. Dazu kam ein Himmelbett mit Baldachin und eine aufgeblähte Steppdecke aus rosa-weiß kariertem Gingham. Der gleiche Stoff war auch für die Rüschenvolants und die gerüschten Zierkissen verwendet worden, die sich in drei Lagen stapelten. Eine Sammlung von sechs gesteppten Teddybären saß auf einer Fensterbank. Die Tapete hatte ein Muster aus rosa-weißen Streifen mit einer Blütenbordüre als oberen Abschluß. Außerdem gab es einen altmodischen Toilettentisch mit gepolstertem Hocker und einem weiß-rosa Rüschenvolant. Alles war mit überdimensionalen weißen Litzen verziert. Das Gästebad war eine Fortsetzung dieses beschwingten Einrichtungsthemas, nicht zu vergessen die gehäkelte Hülle für die Ersatzrolle Toilettenpapier. Das Zimmer roch, als wäre es geraume Zeit verschlossen gewesen, und die Hitze hier drinnen wirkte noch intensiver als im übrigen Haus. Ich merkte, wie ich vor Sehnsucht nach frischer Luft zu hyperventilieren begann.
    Ich ging zum Fenster hinüber wie ein Dieb auf frischer Tat, der zu entkommen versucht. Ich schaffte es, das Fenster drei Zentimeter weit hochzuschieben, nur um vor massiv gebauten Sturmfenstern mit Doppelverglasung zu stehen. Ich bearbeitete die Riegel, bis ich sie alle gelockert hatte. Dann versetzte ich dem Sturmfenster einen Stoß, wodurch es auf der Stelle aus dem Rahmen fiel und in das Gebüsch darunter plumpste. Hoppla ! Ich steckte meinen Kopf durch den Spalt und ließ mir ergeben den Graupelschauer ins Gesicht wehen. Das Sturmfenster war genau außerhalb meiner Reichweite gelandet, also ließ ich es, wo es war, nämlich in den Wacholderbüschen. Ich schob die Fensterscheibe wieder herab und zog die Rüschenvorhänge zurecht, damit man das Fehlen des Sturmfensters nicht gleich bemerkte. Wenigstens konnte ich mich zur Schlafenszeit in einer vernünftig abgekühlten Atmosphäre zur Ruhe begeben.
    Selma hatte mich gedrängt, mich frisch zu machen, und ich befolgte ihren Rat, um meine Rückkehr in die Küche zu verzögern. Ich pinkelte, wusch mir die Hände und putzte mir die Zähne, froh, mir die Zeit mit diesen vertrauten Waschungen vertreiben zu können. Ich stand im Badezimmer und musterte mich im Spiegel, während ich mich fragte, ob ich wohl je Interesse an der schmerzhaften Prozedur, mir die Augenbrauen zu zupfen, entwickeln würde. Unwahrscheinlich. An meinem Kinn saß immer noch ein Bluterguß, und ich nahm mir die Zeit,

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