Kopf in der Schlinge
Schaffell. »James Tennyson. Erfreut, Sie kennenzulernen.«
»Kinsey Millhone«, sagte ich, als wir uns die Hand schüttelten. »Verzeihen Sie, daß ich Sie zu Hause belästige, aber ich war drüben bei den Newquists, und das ist ja gleich in der Nähe. Ich habe Ihren Namen auf einem Bericht gesehen, den ich vom Leichenbeschauer bekommen habe, und dann Ihre Adresse im Telefonbuch nachgeschlagen.«
»Kein Problem. Setzen Sie sich doch wieder.«
»Danke. Frühstücken Sie ruhig. Ich will Sie nicht stören.«
Er lächelte. »Ich glaube, das mache ich, wenn Sie nichts dagegen haben. Womit kann ich Ihnen helfen?«
Während James seine Corn-flakes verspeiste, erläuterte ich ihm Selmas Befürchtungen. »Sie haben Tom doch persönlich gekannt, oder?«
»Ja, ich kannte ihn. Ich meine, wir waren keine richtig guten Freunde... Er und Selma waren älter und verkehrten in ganz anderen Kreisen. Aber hier in Nota Lake kannte jeder Tom. Ich sage Ihnen, sein Tod hat mich erschüttert. Ich weiß, daß er schon ziemlich alt war, aber hier galt er als eine Art Institution.«
»Können Sie mir sagen, wie Sie ihn gefunden haben? Ich weiß, daß er einen Herzinfarkt hatte. Ich versuche nur, ein Gefühl dafür zu bekommen, was geschehen ist.«
»Tja, also das war... wann?... vor fünf, sechs Wochen... und im Grunde nichts Außergewöhnliches. Ich fuhr den 395 entlang, als ich sein Fahrzeug am Straßenrand stehen sah. Die Warnblinkanlage war eingeschaltet, und der Motor lief, also habe ich dahinter angehalten. Ich erkannte Toms Pickup. Sie wissen ja, daß er hier in der Nähe gewohnt hat, daher habe ich sein Auto ständig gesehen. Zuerst dachte ich, er hätte womöglich einen Motorschaden oder so was. Beide Türen waren verschlossen, aber als ich näher kam, sah ich ihn zusammengesunken dasitzen. Ich klopfte ans Fenster, da ich dachte, er sei beim Fahren eingeschlafen und an den Straßenrand gefahren. Ich nahm an, daß die Heizung lief, da die Windschutzscheibe voller Kondenswasser und die Fenster ganz beschlagen waren.«
»Wie sind Sie hineingekommen?«
»Tja, das Fenster auf der Fahrerseite stand einen Spaltweit offen. Ich hatte eine Drahtschlinge im Wagen, und damit zog ich den Türknopf auf. Ich merkte gleich, daß es ihm schlechtging. Er sah entsetzlich aus, die Augen standen offen, und in seinen Mundwinkeln hing schmieriges Zeug.«
»Hat er zu diesem Zeitpunkt noch gelebt?«
»Ich bin mir ziemlich sicher, daß er schon tot war, aber ich habe getan, was ich konnte. Ich sage Ihnen, mir haben dermaßen die Hände gezittert, daß ich gar nicht richtig zupacken konnte. Fast hätte ich das Fenster eingeschlagen, und dazu wäre es auch gekommen, wenn ich es nicht geschafft hätte, das Schloß aufzukriegen. Ich zerrte ihn aus dem Wagen an den Straßenrand und fing gleich mit der Wiederbelebung an. Ich konnte keinen Herzschlag finden. Seine Haut fühlte sich kühl an, oder zumindest kam es mir so vor. Draußen war es eiskalt, und trotz der aufgedrehten Heizung war die Temperatur im Wageninneren gefallen. Sie können es sich bestimmt vorstellen. Ich habe über Funk Hilfe gerufen... so schnell wie möglich einen Krankenwagen dorthin geholt, aber es nutzte nichts. Der Arzt in der Notaufnahme hat ihn beim Eintreffen für tot erklärt.«
»Glauben Sie, er wußte, was mit ihm passierte, und hat deshalb am Straßenrand gehalten?«
»Das würde ich annehmen. Er muß Schmerzen im Brustkorb gehabt haben, vielleicht auch Atemnot.«
»Haben Sie zufällig Toms Notizbuch gesehen? Schwarzes Leder, etwa so groß?«
Er dachte einen Augenblick nach und schüttelte dann langsam den Kopf. »Nein, Ma’am. Ich glaube nicht. Natürlich habe ich auch nicht danach gesucht. War es garantiert in seinem Wagen?«
»Nein, nein, aber Selma hat gesagt, er hatte es immer bei sich, und es ist bis jetzt nicht aufgetaucht. Ich dachte, vielleicht haben Sie es gefunden und im Sheriffbüro abgegeben.«
»Das hätte ich vermutlich getan, wenn ich es gesehen hätte. Ich möchte ja auch nicht, daß meine Notizen durch alle Hände gehen. Vieles davon sieht unsinnig aus, aber man braucht es, wenn man die Berichte tippt oder vor Gericht aussagen muß. Und es war nicht bei seinen persönlichen Sachen? Das Büro des Leichenbeschauers hat mit Sicherheit all seine Kleider und alles, was er bei sich hatte, zurückgegeben. Sie wissen schon, seine Uhr, den Inhalt seiner Taschen und so weiter.«
»Das gleiche habe ich Selma gefragt, und sie hat es auch nicht gesehen.
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