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Kopf in der Schlinge

Kopf in der Schlinge

Titel: Kopf in der Schlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Jedenfalls werden wir weiterhin danach suchen. Danke, daß Sie sich die Zeit genommen haben. Wenn Ihnen irgend etwas einfällt, können Sie mich über Selma erreichen.«
    »Ich kann mir nicht vorstellen, daß es über ihn irgend etwas zu ermitteln gibt. Sie können sich keinen netteren Kerl vorstellen. Er war einfach großartig. Ein guter Mensch und ein guter Polizist.«
    »Das habe ich schon gehört.«

    Ich fuhr zum Motel zurück, denn ich hielt es keine einzige Minute mehr in Toms Arbeitszimmer aus. Womöglich hatte Tom ja einfach an Depressionen gelitten. Wir waren alle davon ausgegangen, daß sein Problem situationsbedingt war, aber vielleicht war dem gar nicht so. Mein Problem war situationsbedingt. Ich hatte Heimweh und wollte hier weg.
    Ich schloß die Tür zu meiner Hütte auf und stellte erfreut fest, daß das Zimmer aufgeräumt worden war. Das Bett war gemacht, das Badezimmer geputzt, und eine frische Rolle Toilettenpapier mit einem Knick im ersten Blatt hing bereit. Ich setzte mich an den Tisch und spannte ein Blatt Papier in meine Smith-Corona ein. Dann begann ich einen Bericht über meine Unternehmungen der vergangenen Tage zu verfassen. Selma Newquist würde eben ihren Frieden mit Toms Ableben schließen müssen. Der Tod hinterläßt immer offene Angelegenheiten, unergründliche Geheimnisse, zahllose unbeantwortete Fragen unter dem angehäuften Schutt eines Lebens. Sämtliche Geschichten sind vergessen, die Erinnerungen verloren. Man kann engagieren, wen man will und findet trotzdem nie heraus, was einen Menschen ausgemacht hat. Ich konnte hier sitzen und tippen, bis mir die Luft ausging. Tom Newquist war tot, und ich vermutete, niemand würde je herausfinden, wie seine letzten Momente verlaufen waren.

6

    Diesen Abend verbrachte ich in einer Bar namens Tiny’s Tavern, einem dieser rauhbeinigen Läden, die in so vielen kleinen Orten offenbar wie Pilze aus dem Boden schießen. Cecilia hatte mir verraten, daß die Kneipe bei Polizisten ein beliebter Freizeittreff war, also würde ich mich ebenfalls dort amüsieren. Außerdem wollte ich der Hütte mit ihren eisigen Innentemperaturen und ihrer depressiven Beleuchtung fernbleiben. Tiny’s hatte Wände aus rohen Brettern, Sägespäne auf dem Fußboden und eine Theke mit einer Fußleiste aus Messing, die sich durch den ganzen Raum zog. Wie in einem Saloon im Wilden Westen hing ein breiter Spiegel hinter der Theke, der sämtliche zur Schau gestellten Schnapsflaschen glitzernd verdoppelte. Der ganze Laden war grau vor lauter Zigarettenrauch. Die Luft war überhitzt und roch nach verschüttetem Bier, mangelhaften Installationen, unwirksamem Deodorant und billigem Eau de Toilette. Die Musikbox war in grellem Grün und Gelb lackiert, und an ihren Seiten verliefen Röhren, in denen Blasen auf-stiegen. Bestückt war sie mit einer seltsamen Mischung aus Gospelsongs und Countrymusik, wobei letztere überwog. Hin und wieder harkte ein Pärchen mechanisch auf der drei mal drei Meter großen Tanzfläche herum, während die anderen Gäste zusahen und die beiden mit Formulierungen anfeuerten, die ich als grob empfand.
    Ich war mir über die unausgesprochenen Erwartungen in einem Lokal wie diesem nicht im klaren. Womöglich wirkte eine Frau ohne Begleitung wie Freiwild auf jeden alleinstehenden Typen. Für einen Abend unter der Woche schienen sich eine Menge ungebundener Männer in der Bar aufzuhalten, doch nun befand ich mich schon eine Stunde lang hier, und kein Mensch hatte besondere Notiz von mir genommen. Hatte ich also umsonst befürchtet, von üblen Typen angemacht zu werden? Ich erklomm einen Barhocker, nippte an einem miesen Bier und fischte Erdnüsse aus einer Messingschüssel, die in einem früheren Leben vielleicht einmal ein Spucknapf gewesen war. Es hatte etwas Befriedigendes, die Schalen auf den Boden zu werfen, obwohl ich sie manchmal auch mitaß, weil ich mir dachte, daß bei einer so cholesterin- und fettreichen Ernährung wie der meinen die Ballaststoffe gesund sein mußten.
    Der Barkeeper war etwa Mitte Zwanzig, hatte einen kahlrasierten Schädel, einen dunklen Vollbart und einen tätowierten Skorpion auf dem rechten Handrücken. Ich flirtete ein wenig mit ihm, um mir die Zeit zu vertreiben. Anscheinend war ihm klar, daß in seiner unmittelbaren Zukunft keine ernsthaften Aussichten auf wilde sexuelle Ausschweifungen bestanden. Ich warf ein paar Vierteldollars in die Musikbox und plauderte mit der Kellnerin, die Alice hieß und leuchtend orangefarbenes

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