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Kopf in der Schlinge

Kopf in der Schlinge

Titel: Kopf in der Schlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Ihr Blickwinkel war verzerrt, und ich fragte mich, was geschähe, wenn sie sich so sehen könnte, wie andere sie sahen. Es war ihre Großspurigkeit, die andere kränkte, nicht ihre Unsicherheit. Selma schien sich nicht bewußt zu sein, wie durchschaubar sie war; sie ahnte offenbar nicht im geringsten, mit welcher Verachtung sie wegen ihres Snobismus betrachtet wurde.
    Irgendwie schüttelte sie ihre Mißstimmung ab. »Schluß mit dem Selbstmitleid. Das ändert auch nichts. Kann ich Ihnen einen Happen zum Mittagessen anbieten? Ich mache Suppe heiß und könnte uns überbackene Käse-Sandwiches grillen.«
    »Klingt prima«, sagte ich. Schon jetzt bekam ich Schuldgefühle, weil ich ihre Gastfreundschaft annahm, nachdem ich mir seelenruhig die vernichtenden Kommentare anderer Leute angehört hatte. Ich sagte mir, daß das zu den Informationen gehörte, die ich sammelte, aber ich hätte gegen die Gehässigkeit protestieren können, mit der diese Ansichten geäußert worden waren. Mittlerweile mit der Küche vertraut, öffnete ich den Geschirrschrank und nahm Suppentassen und Teller heraus. »Kommt Brant auch zum Essen?«
    »Das bezweifle ich. Er ist noch in seinem Zimmer und liegt vermutlich im Tiefschlaf. Er geht dreimal die Woche zum Fitneßtraining, daher schläft er die Vormittage dazwischen gerne aus. Lassen Sie mich mal nachsehen.« Sie verschwand kurz und kehrte kopfschüttelnd zurück. »Er kommt gleich«, erklärte sie. »Erzählen Sie mir doch, was Sie bis jetzt herausgefunden haben.«
    Ich holte noch eine Suppentasse und einen Teller, dann zog ich die Besteckschublade auf und nahm Suppenlöffel heraus. Während Selma die Suppe warm machte und die Sandwiches grillte, informierte ich sie über die Schritte, die ich bereits unternommen hatte, und berichtete ihr mündlich, wo ich gewesen bin und wen ich gesprochen habe. Beim Erzählen klangen meine Bemühungen kümmerlich. Aufgrund dessen, was mir Phyllis anvertraut hatte, eröffnete sich mir nun ein neuer Weg, auf dem ich ermitteln konnte. Aber ich wollte nichts davon verlauten lassen, solange ich es nur mit Vermutungen zu tun hatte. Selma hatte die Möglichkeit einer anderen Frau nie auch nur angedeutet, und ich würde das Thema nicht anschneiden, bevor ich Grund dazu hatte.
    Brant kam, als wir uns gerade zum Essen setzten. Er trug Jeans und Cowboystiefel, und sein knappes weißes T-Shirt brachte den Erfolg seines Krafttrainings besonders zur Geltung. Selma verteilte Suppe in jede Tasse und halbierte die Sandwiches, von denen sie jedem eines auf den Teller legte.
    Wir begannen in jener Stille zu essen, die ich leicht beklemmend finde. »Was hat Sie eigentlich auf die Idee gebracht, Sanitäter zu werden?« fragte ich.
    Ich hatte Brant mit vollem Mund erwischt. Er lächelte verlegen und wies gestikulierend auf die Verzögerung hin, während er sich die Hälfte des Bissens in die Backe schob. »Ich hatte Freunde bei der Feuerwehr, daher habe ich einen halbjährigen Kurs belegt. Ich glaube, Tom hat gehofft, ich würde im Sheriffbüro anfangen, aber das war nicht mein Fall. Ich mag meine Arbeit sehr. Wissen Sie, es ist immer irgendwas los.«
    Ich nickte, während er weiteraß. »Ist der Job das, was Sie erwartet haben?«
    »Klar. Nur daß es mehr Spaß macht«, antwortete er.
    Ich hätte ihn vielleicht noch weiter ausgefragt, wenn ich nicht bemerkt hätte, wie er auf die Uhr sah. Er stopfte sich den Rest des Sandwichs in den Mund und zerknüllte seine Papierserviette. Dann stand er vom Tisch auf und nahm seine halbleere Suppentasse und seinen Teller mit. Er trat an die Spüle und trank noch ein paar Schluck Suppe, bevor er die Tasse ausschwenkte und in die Spülmaschine stellte.
    Selma gestikulierte in Richtung Spülmaschine. »Das mache ich doch.«
    »Schon erledigt«, meinte er und stellte den Sandwichteller dazu. Ich hörte seinen Löffel im Besteckkorb klirren, bevor er die Maschine zuklappte. Er drückte seiner Mutter einen hastigen Kuß auf die Wange. »Bist du noch eine Zeitlang da?«
    »Ich habe einen Termin in der Kirche. Und du?«
    »Ich glaube, ich fahre nach Independence runter und besuche Sherry.«
    »Kommst du heute abend zurück?«
    »Darauf würde ich mich nicht verlassen«, meinte er.
    »Fahr vorsichtig.«
    »Es sind ganze fünfunddreißig Kilometer. Das werde ich wohl noch schaffen.« Er schnappte sich die restlichen Plätzchen vom Teller und steckte sich grinsend eines davon in den Mund. »Back lieber noch ein paar Plätzchen. Die hier waren nicht

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