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Kopf in der Schlinge

Kopf in der Schlinge

Titel: Kopf in der Schlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Mundwinkel, während sie es betrachtete.
    Ich sagte: »Ich habe ihn nie persönlich kennengelernt, aber ich fand, daß er darauf gut getroffen ist.«
    Sie sah mich mit Tränen in den Augen an. »Vielen Dank.«

16

    Als ich am nächsten Morgen vom Laufen zurückkam, war eine Nachricht von Colleen Seilers auf meinem Band, in der sie mir Namen und Adresse einer Frau in Perdido namens Dolores Ruggles nannte, einer Tochter von Pinkie Ritter. Da dies meine einzige Spur war, tankte ich den VW auf und fuhr auf der 101 nach Süden, sobald ich geduscht und angezogen war.
    Zu meiner Linken konnte ich bewirtschaftete Felder sehen, deren frisch angepflanzte Furchen mit Plastikfolien abgedeckt waren, die so glatt und grau wirkten wie Eis. Steile Hügel, struppig mit niedrigem Buschwerk bewachsen, drängten sich näher und näher an die Straßenränder heran. Zu meiner Rechten donnerte der rauhe Pazifik an die Küste. Surfer in schwarzen Neoprenanzügen warteten auf wogenden Brettern wie eine verstreute Schar Seevögel. Der Regen war weitergezogen, doch der Himmel war unter einer Decke aus trägen Wolken immer noch weiß, und in der Luft hingen die vermischten Gerüche von Salzwasser und den jüngsten Niederschlägen. In den hohen Lagen bei Nota Lake schneite es bestimmt.
    Ich nahm die Ausfahrt Leeward und bog zweimal rechts ab, wobei ich auf der Suche nach der Straße, in der Dolores Ruggles wohnte, noch einmal den Freeway überquerte. Das Viertel war ein Labyrinth aus flachen Wohnhäusern, und die schmalen Straßen kreuzten sich immer wieder. Dolores’ Haus war eine schmucklose Schachtel in einem schmucklosen Garten ohne Bäume, mit kaum einem Strauch oder einem Büschel Gras, das das eintönige, nichtssagende Aussehen der Umgebung aufgebrochen hätte. Als Veranda diente ein Betonsockel mit einer Stufe, die zur Haustür führte, und einem kleinen Vordach, das einem Schutz bot, wenn man klingelte. Die Tür bestand aus Furnierholz, aus dessen Unterkante lange, scharfe Holzsplitter fehlten. Es sah aus, als hätte ein Hund an der Schwelle gekaut.
    Der Mann, der mir die Tür öffnete, trocknete sich die Hände an einem Handtuch, das er sich in den Hosenbund gesteckt hatte. Er war mindestens Anfang Sechzig, vielleicht einssiebzig groß und hatte ein grob gefurchtes Gesicht und eine schüttere grau-weiße Haartracht, die an Holzasche erinnerte. Seine Augen waren haselnußbraun und seine Brauen ein Gewirr aus borstigem Schwarz und Grau. »Immer mit der Ruhe«, sagte er gereizt.
    »Entschuldigung. Ich dachte, die Klingel sei kaputt. Ich wußte nicht einmal, ob überhaupt jemand zu Hause ist. Ich suche Dolores Ruggles.«
    »Wer zum Teufel sind Sie?«
    Ich reichte ihm meine Karte und sah, wie sich seine Lippen bewegten, während er meinen Namen las. »Ich bin Privatdetektivin«, erklärte ich.
    »Das sehe ich. Es steht ja hier. Nachdem wir das geklärt haben, könnten Sie mir vielleicht sagen, was Sie von Dolores wollen? Sie ist im Moment beschäftigt und möchte nicht gestört werden.«
    »Ich brauche eine Auskunft. Vielleicht können Sie mir helfen, dann ersparen wir ihr die Umstände. Ich bin wegen ihres Vaters hier.«
    »Der kleine Scheißkerl wurde ermordet.«
    »Das ist mir bekannt.«
    »Was wollen Sie dann noch?«
    »Ich versuche herauszufinden, was geschehen ist.«
    »Was spielt das jetzt für eine Rolle? Der Mann ist tot, und das für meinen Geschmack nicht früh genug. Ich habe Jahre damit zugebracht, die Schäden zu bereinigen, die er angerichtet hat.«
    »Kann ich hereinkommen?«
    Er starrte mich an. »Machen Sie, was Sie wollen«, sagte er unvermittelt, drehte sich auf dem Absatz um und überließ es mir, ihm zu folgen. Ich huschte hinter ihm her und erstellte im Vorübergehen eine schnelle Bestandsaufnahme des Wohnzimmers. Ich möchte ja nicht sexistisch klingen, aber der Raum sah aus, als hätte ihn ein Mann eingerichtet. Der Boden bestand aus nacktem Hartholz und war dunkel gebeizt. Mein Blick fiel auf eine schlaffe Couch und einen eingesunkenen Polstersessel, beides von schweren, handgewebten Indianerdecken verhüllt. Zuerst hielt ich den Couchtisch für antik, doch beim Näherkommen sah ich, daß seine einzige Patina aus Staub bestand. Die Wände waren voller Bücher: aufrecht, seitwärts, schief, gestapelt, in Zweier- und manchmal sogar in Dreierreihe in die Regalbretter gequetscht. Die Ansammlung von Illustrierten, Zeitungen, Postwurfsendungen und Katalogen ließ auf eine erstickende Gleichgültigkeit gegenüber

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