Kopfgeldjagd
unternehmerischer Russe gewesen, wäre ich zweifellos auch ein angehender Oligarch gewesen. Ich sehe mich jedoch nicht als Oligarchen, denn dazu gehört im Allgemeinen eine riesige Entourage an Untergebenen, zu viel geschmackloser Prunk und hirnlose Verschwendungssucht. Susan nannte mich »Baby-Tyke«, »Baby-Tycoon« oder »Babymagnat« – und das ist eine wesentlich passendere und auch liebenswertere Bezeichnung. Wenn ich allerdings wählen müsste, wäre ich lieber ein Oligarch als ein hochgestochener Moralist.
Zur Zeit der Übernahme von M+W Zander kauften Ronny, Georg und Oligarch Nummer 1 milliardenschwere Anteile an großen Schweizer Industrieunternehmen wie Oerlikon und Sulzer. Sie wollten eine globale Technologiealternative zu General Electric schaffen und schienen dabei gnadenlos jeden aus dem Weg zu räumen, der sich ihnen entgegenstellte. Alles in allem gab es klügere Dinge, als einen Dritten Weltkrieg gegen dieses Trio vom Zaun zu brechen, das sich in den folgenden Jahren mit umfangreichen Straf- und Zivilgerichtsverfahren konfrontiert sah.
An einem Montagmorgen gegen neun Uhr rief Ronny an und überbrachte mir die Nachricht, er habe M+W Zander gekauft. Ich solle sofort nach Wien kommen. Ich sagte ihm, mein Pilot habe an diesem Tag frei und ich würde ihn mittags treffen. Er antwortete, das wäre kein Problem, sein 40-Millionen-Dollar-Transatlantik-Superjet würde im Bereich Allgemeine Luftfahrt am Flughafen von Palma de Mallorca auf mich warten. Ich war alarmiert. Ich dachte, wir seien die Eigentümer von M+W Zander. Was ging hier vor? Nach meiner Ankunft in Wien wurde ich von einem Fahrer und einem Leibwächter in einem bombensicheren Mercedes S-Klasse abgeholt. Damals dachte ich darüber nach, mir ein ähnliches Auto anzuschaffen, und bat den Fahrer, mir etwas über die genauen technischen Spezifikationen zu erzählen. Er brachte mich höflich zum Schweigen, indem er mit einem nicht zu verkennenden russischen Akzent zu verstehen gab, er dürfe außer mit den Eigentümern von Victory mit niemandem über sicherheitsrelevante Aspekte sprechen.
Am vereinbarten Treffpunkt wurde ich zu Georg Stumpfs Penthouse-Büro im obersten Stockwerk des Millennium Towers, des höchsten Bürogebäudes Wiens, eskortiert. Das loftähnliche Büro, das mit Küche, Bar, Mega-TV und voluminösen Sofas ausgestattet war, maß leicht 650 Quadratmeter und hatte zehn Meter hohe Decken und riesige Fensterfronten, die einen einmaligen Ausblick über Wien boten – alles in allem ein einziger Ausdruck von Macht und neuem Geld.
Knallharte Geschäftsleute verlieren selten Zeit mit höflichem Geplänkel, bevor sie zur Sache kommen. Sie betrachten das als reine Zeitverschwendung. Ronny und ich maßen uns in ungefähr drei Sekunden ab und schüttelten uns die Hände. Ein Jahr zuvor hatte ich meinen letzten Deal mit ihm gemacht. Georg erschien mir sehr formell und arrogant. Ich erwartete, dass jeden Moment einer der Lakaien von Oligarch Nummer 1 oder der Meister persönlich auftauchen würde, aber hier handelte es sich ganz offensichtlich um reine Vorgespräche. Ich hatte keine Anwälte zu diesem Termin einbestellt. Also gab es noch keinen Bedarf an der Präsenz der Russen.
Ronny und Georg bestätigten, sie hätten M+W Zander gekauft, und zwar über ihr wichtigstes Investmentvehikel, die Victory Industriebeteiligung AG. Und nun wollten sie uns unsere Wandelanleihen zu einem bescheidenen Aufschlag auf unsere Kosten abkaufen. Ich sagte ihnen, sie seien nicht ganz bei Trost. Wir befanden uns in einer starken Rechtsposition. Gruschka und MM hatten den beiden das Fell über die Ohren gezogen. Ungefähr alle zehn Minuten verließen Ronny und Georg das Büro, um mit ihren Anwälten Rücksprache zu halten. Ich hatte ihre Gorillas aufgefordert, sich dauerhaft zu verziehen, und hatte den Büropalast nun für mich alleine. Ich wollte bei heiklen Gesprächen schon immer die geringstmögliche Anzahl von Teilnehmern. Während Ronny und Georg in einem anderen Raum die Strategie besprachen, sammelte ich alle Zettel und herumliegenden Blätter ein, um sie später in Ruhe zu studieren. Aus meiner eigenen Erfahrung wusste ich, dass große Macher im Allgemeinen miserable Sekretärinnen sind. Sie räumen nie hinter sich auf. Im Büro lagen insgesamt ungefähr 40 lose Blätter mit handschriftlichen Notizen herum. Ich sammelte sie ein und stopfte sie in meinen Aktenkoffer.
An diesem Abend erreichten wir keinen Konsens, was keine große Überraschung
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