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Kopfloser Sommer - Roman

Kopfloser Sommer - Roman

Titel: Kopfloser Sommer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Diesmal hilft meine eigene Fantasie.
    Während ich zeichne, blicke ich hin und wieder zu Anders und lache innerlich. Wenn er wüsste. Offenbar lache ich aber auch laut auf, denn nun schaut er hoch zu mir. Ich lächele, winke ihm sogar. Er winkt zurück, aber ich mag diese Art des Winkens nicht. Als würde ein Erwachsener einem Kind zuwinken. Ich bin kein Kind mehr, das wird er schon sehen.
    Langsam lege ich die Beine auf den Tisch, eins nach dem anderen. Der Wind erfasst den Stoff meines Kleids, aber ich tue so, als würde ich es nicht bemerken. Ein angenehmes Gefühl an den Schenkeln. Ich lasse meinen Blick zwischen dem Zeichenblock und ihm hin- und herwandern. Lange bleibt er stehen, ohne seinen Blick von mir abzuwenden. Ich bin ziemlich sicher, dass er rot wird. Gut, dass Mutter nicht hier ist. Dann wird es ihm offenbar zu viel, er dreht sich um und konzentriert sich wieder auf die Gartenarbeit. Ich habe einen erwachsenen Mann in Verlegenheit gebracht, schon wieder! Besser geht’s kaum. Konnte er unter mein Kleid sehen? Mein Gott, gestern Abend hat er meine Brüste gesehen. Sie sind nicht groß, aber munter. Diesen Ausdruck hat Amalie einmal verwendet, als wir unsere Brüste verglichen haben. Ich habe ihre seriös genannt, weil man sie unter einem Pullover genau sehen konnte, auch wenn sie keinen Büstenhalter trug. Sie hat sehr über diese Bezeichnung gelacht und versucht, etwas Nettes über meine Brüste zu sagen. Schließlich nannte sie sie munter. Aber halt, ich darf nicht vergessen, dass ich wütend bin. Ein wütendes Mädchen mit munteren Brüsten.
    Ich zeichne weiter, und plötzlich läuft es wunderbar. Ich bin jetzt bei Henriettes Brüsten, zeichne sie unnatürlich groß und ein wenig quallig. Anders’ Kopf ragt zwischen ihnen hervor; er schnappt nach Luft und schielt bereits vor Sauerstoffmangel, vielleicht ist es aber auch nur Geilheit. Oder beides. Aus einem seiner Mundwinkel sabbert er, ich male immer weiter. Schließlich zeichne ich eine Sprechblase: »So viel Fleisch und keine Kartoffeln!«
    Ich bin so sehr in meine Arbeit vertieft, dass ich mich ziemlich erschrecke, als Anders plötzlich auf dem Rasen vor der Terrasse steht und sich räuspert. Hastig klappe ich den Zeichenblock zu. Er streckt sich, klagt über Rückenschmerzen und setzt sich auf den Terrassenboden.
    »Wo sind die anderen?«
    »Henriette ist nach Hause gefahren, Mutter schläft ihren Rausch aus, und Jacob liegt wahrscheinlich neben ihr und spielt auf seinem Nintendo.«
    Er greift nach dem Block, will sehen, was ich gezeichnet habe. Aber ich drücke den Block an die Brust und schüttele den Kopf, es ist noch nicht fertig. Er legt sich auf den Rücken,faltet die Hände im Nacken und schaut zu mir auf. »Heißt das, wir sind ganz allein?«
    »Vielleicht«, sage ich leise.
    Ich raffe das Kleid um meine Beine und trinke einen Schluck Tee. Eine Zeitlang spricht niemand ein Wort.
    »Vielleicht sollte ich dir jetzt die kleine Führung anbieten?« Anders setzt sich auf.
    »Die Führung?«
    »Ja, ich habe doch versprochen, dir den Garten zu zeigen. Und den Wald dahinter. Es gibt viel, was ich dir zeigen möchte. Komm!«
    Er greift nach meiner Hand, aber ich finde, dass es ein wenig schnell geht. Außerdem habe ich keine Lust, mit ihm allein in den Wald zu gehen. Das heißt, grundsätzlich schon, aber nicht gerade jetzt.
    »Dann hole ich Jacob.«
    »Hast du nicht gesagt, er spielt im Schlafzimmer Nintendo?«
    Da ich seine Hand nicht nehme, streichelt er damit meinen nackten Fuß. Er ist ziemlich frech. Ich ziehe den Fuß zurück, denn, mal ehrlich, was hat er vor? Will er mich verführen? Ich wage den Gedanken nicht zu Ende zu denken. Er hat Mutter erzählt, er sei zweiundzwanzig. Ich bin erst vierzehn, das sind acht Jahre Unterschied. Vor acht Jahren war ich sechs. Als er so alt war wie ich, bin ich jünger als Jacob gewesen! Eine beunruhigende Rechnung, die seltsamerweise aber auch zu einem leichten Kitzeln im Bauch führt.
    »Okay, hol deinen Bruder«, sagt er. »Wir wollen ja nicht, dass ihm etwas entgeht, oder? Das würde er nicht ertragen.«
    Ich gehe ins Wohnzimmer und bleibe einen Moment stehen, um zu mir zu kommen. Er findet mich wirklich attraktiv, und es ist ja auch nicht so, dass ich keine Lust hätte. Soll ichzurückgehen? Noch könnte ich es, aber es wäre einfach zu verrückt. Stattdessen laufe ich die Treppe hinauf und stolpere beinahe über Frau Larsen, die mit dem Ölkännchen auf der Treppe hockt.
    »Sie sind noch

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