Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kopfloser Sommer - Roman

Kopfloser Sommer - Roman

Titel: Kopfloser Sommer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
Vom Netzwerk:
für bare Münze und ist vollkommen fasziniert.
    »Sind da auch Bäume und Büsche gewachsen, wie hier?«
    »Und wie! Der Parkplatz hatte sich in einen exotischen Garten verwandelt, es sah ein bisschen so aus wie im Tropenhaus im Botanischen Garten. Die Autos hatten kaum mehr Platz. Und die wenigen Autos, die noch auf den Parkplatz fuhren, fanden nicht wieder heraus. Die Leute waren wütendund beschimpften mich, aber hin und wieder gab es auch Menschen, denen es gefiel und die zwischen den Bäumen Zelte aufschlugen. Hin und wieder bin ich hingefahren, und jedes Mal kam mir der Garten noch üppiger vor. Als ich das letzte Mal dort war, saß ein Papagei in der Krone einer Palme und krächzte, und im Gras lag eine Frau und zeichnete. Sie winkte mir zu und der Wind erfasste ihr Kleid.«
    »Wie hieß sie denn?«, frage ich Anders.
    »Ich glaube, Eva.«
    »Eva?« Wahrscheinlich klinge ich ein wenig enttäuscht. »Und wie sah sie aus?«
    »Komisch, dass du fragst, Emilie, denn tatsächlich sah sie dir ähnlich.«
    »Hast du Zauberpulver benutzt, um das Unkraut wachsen zu lassen?«, will Jacob wissen. Anders schüttelt den Kopf.
    »Ich hab einen grünen Daumen.«
    »Zeig mal!«
    Anders zeigt uns seine Daumen, die natürlich nicht grün sind, sondern ziemlich schmutzig, vor allem unter den Nägeln. Er hat auch ein paar Blasen.
    »Hast du ja gar nicht!«
    »Das sagt man von Leuten, die gut mit Pflanzen umgehen können«, erklärt er. »Ihre Daumen können alles zum Wachsen und Gedeihen bringen.«
    »Alles?«, frage ich ihn.
    Er nickt und nimmt meine Hände. Seine Finger sind warm und rau, und ich kann meine Hände nicht zurückziehen, denn seine kräftigen Finger flechten sich in meine. So sitzen wir eine Weile, ohne ein Wort zu sagen. Eine Amsel singt, alle möglichen Vögel singen, und irgendwo im Wald fährt ein Moped ‒ eigentlich ist das verboten. Jacob beginnt sich zu langweilen, er will jetzt etwas unternehmen und kriecht aus derHöhle. Zwischen Anders und mir entsteht eine Lücke, wir rücken enger zusammen. Er riecht nach Schweiß, aber durchaus angenehm. Sein Oberschenkel berührt meinen Oberschenkel.
    »Vielleicht sollte ich den Parkplatz mal zeichnen«, sage ich. »Und die nackte Frau, die Eva heißt. Erzähl mehr von ihr, wie sah sie aus?«
    »Sie war nicht nackt. Wie kommst du denn da drauf?«
    Ich weiß es wirklich nicht. Ich habe mich wohl falsch erinnert, es ist mir ziemlich peinlich.
    »Ich habe gesagt, der Wind erfasste ihr Kleid, und sie hat mir gewunken. Sie war unglaublich hübsch, ganz einfach unwiderstehlich. Und sie war noch nicht alt, aber alt genug für mich.«
    »Wie hübsch?«
    Er lehnt sich ein Stück zurück, wobei seine Augen mich von Kopf bis Fuß mustern. Ich halte es kaum aus.
    »Dichtes lockiges Haar, rotbraun. Man hatte Lust, seine Nase hineinzustecken.« Er steckt seine Nase in meine Haare und schnüffelt. Seufzt vor Wohlbehagen. »Ihre Haut war ganz weiß, und wenn man sie ansah, wollte man sie berühren.« Er lässt einen Handrücken über meinen nackten Arm gleiten.
    »Was macht ihr da drinnen?« fragt Jacob.
    »Wir reden«, antworte ich. »Und du?«
    »Ich klettere auf einen hohen Baum. Halte Ausschau nach gefährlichen Tieren. Aber ich habe noch keine gesehen.«
    »Dann musst du höher klettern«, rät Anders.
    Ich habe Sorge, dass Jacob zu hoch klettert. Er ist schon einmal im Garten von einem Baum gefallen und hat sich richtig wehgetan. Es wundert mich, dass er keine Angst hat. Aber wenn Anders in der Nähe ist, ist alles anders, auch für mich. Bei ihm bin ich vollkommen entspannt. Als seine Hand meinen Nacken streichelt und ein bisschen drückt, kommt mirdas so selbstverständlich vor, als würde ich bereits zu ihm gehören.
    »Jetzt bin ich richtig hoch oben«, ruft es von draußen. »Seht es euch an.«
    »Gleich«, rufe ich zurück. »Siehst du gefährliche Tiere?«
    »Ich sehe nur eine Menge Bäume.«
    »Dann musst du noch höher klettern!«, ruft Anders.
    Ich will protestieren, Jacob soll wieder herunterkommen, aber dann sind die Hände wieder da. Eine Hand fährt mir langsam durchs Haar und massiert meine Kopfhaut, die andere streicht mir über den Rücken. Es geschieht so sanft und vorsichtig, dass ich die Augen schließe. Doch die Hand, die mit meinem Haar spielt, packt plötzlich und ohne Vorwarnung zu ‒ es tut richtig weh und ich schreie fast auf. Aber dann lässt er wieder los und massiert genauso sanft wie zuvor. Ich habe mich erschrocken, aber es kribbelt auch im

Weitere Kostenlose Bücher