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Kopfloser Sommer - Roman

Kopfloser Sommer - Roman

Titel: Kopfloser Sommer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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kaum noch das Gleichgewicht halten und stolpert fast über seine Beine; der Wein, den sie auf Kosten des Frauenforschungszentrums gekauft haben, zeigt offensichtlich Wirkung. Ich muss etwas unternehmen, ich stoße die Tür auf und räuspere mich. Sie wenden mir die Köpfe zu, und plötzlich weiß ich nicht, was ich sagen soll.
    »Haben wir dich geweckt, Emilie?«, erkundigt sich Mutter. Anders tritt einen Schritt beiseite. Henriette stellt die Musik leiser.
    »Was glaubst du denn? Bei dem Radau kann ich jedenfalls nicht schlafen!«
    Alle drei sehen mich verlegen an, Anders wendet den Blick ab; es überrascht mich, bis mir klar wird, dass ich nur einen Slip trage, ausgerechnet den mit der Micky Maus. Ich lege einen Arm über meine Brüste, bleibe aber stehen, bis Anders murmelt, er müsse jetzt wohl auch schlafen gehen. Ich hatte gehofft, dass er es sagen würde, das Stichwort für mich. Ich drehe mich um, verschwinde mit langen Schritten in meinem Zimmer und werfe die Tür zu.
    Kurz darauf höre ich, wie er ins Badezimmer geht. Als er wieder herunterkommt, ruft er ziemlich laut »gute Nacht« ins Wohnzimmer, ich sollte es wohl hören. Und in seinem Zimmer poltert er ziemlich auffällig mit dem Schrank und den Schubladen. Ein lautes Knarren seines Betts. Ich lasse meins ebenfalls ächzen. Unsere Betten knarren im Takt, schneller und schneller. Jetzt bin ich ganz sicher, dass es Absicht ist. So dürfte es sich anhören, wenn wir miteinander Sex hätten.
    Gern würde ich jetzt zu ihm gehen, aber es gefiele mir noch besser, wenn er zu mir käme. Schließlich ist er trotz alledem doch der Mann, und außerdem ist er der Ältere. Ich warte geduldig, ohne dass etwas passiert. Vielleicht will er sichergehen, dass Mutter und Henriette schlafen. Ich halte mich am besten mal wach. Bis ich höre, wie er schnarcht. Wer weiß, wovon er träumt? Es darf gern auch von mir sein. Morgen werde ich meine roten Gummistiefel in den Flur stellen, denn es ist sicher nur eine Frage der Zeit, bis wir bei Vollmond im Garten herumlaufen.

6
    Ich setze mich mit meinem Zeichenblock und einer Tasse grünen Tee auf die Terrasse. Ausnahmsweise bin ich ausgeschlafen, da mich niemand geweckt hat. Mutter hat vermutlich Kopfschmerzen, jedenfalls ist sie noch nicht aufgetaucht. Und Jacob ist bestimmt bei ihr im Schlafzimmer. Bin ich wirklich die Einzige, die wach ist? Ich gehe zur Haustür und schaue in die Einfahrt. Henriettes Auto ist fort. Dafür kommt Frau Larsen mit ihrem Rollator auf mich zu. In dem Korb zwischen den Griffen liegt ihre Werkzeugkiste, daneben steht das Ölkännchen.
    »Deine Mutter hat sich beschwert, dass die Dielen knarren«, verkündet sie.
    »Sie sagte, es würde ein Handwerker kommen.«
    »Schnickschnack, die brauchen bloß ein bisschen Öl; wenn’s mehr nicht ist, kann ich das selbst erledigen.«
    Ich lasse sie rein und zeige ihr, wo es knarrt. Sie braucht meinen Arm als Stütze, als sie sich auf die Knie hockt. Dann bittet sie um das Ölkännchen und fängt an. Sie spart nicht an Öl.
    Ich lasse sie allein und gehe wieder auf die Terrasse. Nach einer Weile höre ich Anders zwischen den Büschen summen. »Hier komme ich, es gibt nur mich.« Er singt den Blumen etwas vor, wie nett. Jetzt sehe ich ihn auch. Mit einer Hand gießt er, mit der anderen zupft er welke Blüten ab.
    Ich würde ihn gern zeichnen, doch es gelingt mir nicht. Ein Mann im Garten, der Blumen gießt, was ist daran schon besonders? Ich lasse seinen Kopf aus einem Busch ragen undmale ihm ein Horn auf die Stirn. Er ähnelt einem Troll, der aus einer Schachtel hüpft, es sieht einfach doof aus. Mir geht durch den Kopf, was Anders über meinen Stil gesagt hat. Ich würde die Wirklichkeit nicht schildern, wie sie ist, sondern wie ich sie empfinde. Und ich hätte eine große Wut in mir.
    Ich versuche, sie zu spüren, ich versuche es wirklich, aber irgendwie kommt nichts. Nichts als Henriettes feiste Schenkel und dieses Lächeln, das sie Anders beim Abendessen geschenkt hat. Und Mutters irritierendes Lachen im Hintergrund. Ich bin überrascht, wie hektisch ich jetzt zeichne, aber es ist ein gutes Gefühl, als würden die Striche von allein aufs Papier kommen. Ich zeichne Henriette, sie ist hässlich. Ihre fleischigen Arme und Beine schlingen sich um einen kleinen, behaarten Männerkörper. Er sieht aus wie Anders. Er kämpft, um sich zu befreien, wird aber wie in einem Schraubstock festgehalten. Warum soll ich mich nur von Jacobs Albträumen inspirieren lassen?

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