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Kopfloser Sommer - Roman

Kopfloser Sommer - Roman

Titel: Kopfloser Sommer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Spaß.«
    »Das ist kein Spaß! Das ist unheimlich. Und du läufst auch nicht nachts mit deinem Kopf unter dem Arm herum?«
    Anders schüttelt lächelnd den Kopf.
    »Hast du nicht in mein Zimmer geguckt?«
    »Nein, Jacob. Und ich wohne auch nicht im Brunnen. In ein paar Tagen muss ich zurück in die Stadt. Dort wohne ich.«
    Jacobs Atemzüge werden allmählich wieder ruhiger. Ich lasse ihn los, stehe auf und gehe mit ihm und Anders ins Wohnzimmer. Wir lassen uns aufs Sofa fallen, und ich schaue mich um, ob Frau Larsen noch da ist. Es sieht nicht so aus.
    Jacob möchte am liebsten zu Mutter, aber ich erinnere ihn daran, dass es ihr nicht gut geht. Sie soll schlafen, dann ist sie bald wieder auf den Beinen. Ich schalte den Fernseher ein, der Fernseher hat häufig eine beruhigende Wirkung auf meinen Bruder. Aber er kann nicht stillsitzen. Kurz darauf erklärt er, zur Toilette zu müssen, und ehe ich mich versehe, ist er die Treppe hinauf im ersten Stock.
    »Du sollst Mutter nicht wecken, denk dran«, wiederhole ich.
    Als er verschwunden ist, wende ich mich an Anders. Ich verlange eine Erklärung. So etwas kann er nicht machen.
    »Jacob verträgt so etwas nicht. Er bekommt Albträume, wenn ihm jemand solchen Quatsch einredet.«
    »Na ja, aber mal ganz ehrlich, Emilie, manchmal bekommen Kinder eben Albträume. Erwachsene im Übrigen auch. Du etwa nicht?«
    »Du kennst Jacob nicht, er ist nicht wie andere Kinder. Er hatte sich mal so sehr vor einem Lastwagen erschreckt, dass er sich im Badezimmer eingeschlossen hat. Der Laster hatte gehupt, weil Jacob über die Straße lief, ohne nach rechts oder links zu sehen. Und dann hat er geglaubt, der Lastwagen würde ihn verfolgen, wenn er wieder vor die Tür ginge. Fünf Stunden hat er im Badezimmer gesessen! Am Ende musste mein Vater die Tür einschlagen, obwohl eine neue Tür viel Geld kostet. Er ist deswegen auch beim Schulpsychologen gewesen.«
    »Wer, dein Vater?«
    »Nein, Jacob natürlich.«
    »Meine Mutter war Schulpsychologin, mein Vater war Psychiater, ich habe Psychologie studiert. Soweit ich es beurteilen kann, ist Jacob ein ganz normaler Junge, der lediglich herausgefunden hat, wie er sich ein bisschen zusätzliche Aufmerksamkeit verschaffen kann.«
    Ich weiß wirklich nicht, was ich davon halten soll. Ist Jacob ein normaler Junge? Ich würde mich freuen, wenn es so wäre. Aber es klingt zu schön, um wahr zu sein.
    »Woher willst du das wissen? Du sollst ihn jedenfalls nicht zu Tode erschrecken!«
    »Kinder in diesem Alter können auch zu sehr beschützt werden, Emilie. Wirklich, eine Burg unter der Erde, mit kopflosen Rittern, die nachts umgehen und in die Fenster der Leute schauen … Das ist gut ausgedacht. Er hat eine blühende Fantasie, dagegen ist doch nichts einzuwenden. Ich verstehe nur nicht ganz, womit sie gucken, wenn sie keine Köpfe haben.«
    Wieder hat er dieses Lächeln auf den Lippen, als müsste er angestrengt ein Lachen unterdrücken. Er hat ja recht, es ist komisch. Ich stelle mir meinen Vater vor, wie er sich auszieht und seine Kleidungsstücke sorgfältig auf einen Stuhl legt. Dann schraubt er sich den Kopf ab und legt ihn unters Bett. Und ich stelle mir vor, wie Mutter dasselbe tut. Kopflos legen sie sich ins Bett. Möglicherweise schlafen sie sogar miteinander? Küssen sich die Köpfe dann unter dem Bett? Einen Moment habe ich verdrängt, dass sie geschieden sind, aber vielleicht war es ja früher so? Weiß der Henker, warum es schiefging. Aber es ist ein Motiv für meine Bildcollagen: Zwei abgeschnittene Köpfe küssen sich unter einem Bett. Wenn ichdoch nur das Familienalbum zerschneiden dürfte. Mir fällt es plötzlich schwer, nicht in Gelächter auszubrechen.
    »Dein kleiner Bruder ist etwas sensibel und hat eine blühende Fantasie, das ist alles. Das ist nur gefährlich, wenn man es ernst nimmt.«
    »Bist du sicher?«
    Er nickt.
    »Das Problem ist nur, dass ich immer aufstehen und ihn trösten muss, wenn er nachts aufwacht.«
    »Hör einfach auf damit. Er hat doch auch eine Mutter, oder?«
    »Sie hat nicht immer Zeit.«
    »Sie versucht sich zu drücken, Emilie, deine Mutter ist träge. Ist dir das noch immer nicht klar? Du bist jung, du hast das Recht, an dich selbst zu denken.«
    Wenn es doch nur so einfach wäre. Aber warum sollte es eigentlich nicht so sein?
    »Wie meinst du das?«, frage ich nach, obwohl ich im Grunde nur möchte, dass er es noch einmal sagt.
    »Wenn du nicht an dich selbst denkst, gibt es keinen, der es sonst für

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