KOR (German Edition)
bereitete ihr Sorgen. Nach langem und unaufhörlichem Drängen hatte er ihr endlich gebeichtet, dass eine russische Organisation hinter der unglaublich hohen Geldsumme steckte, die ihm zur Verfügung stand. Er wollte nicht sagen, um was für eine Organisation es sich handelte. Dieser Aspekt ließ sie manchmal nachts nicht schlafen. Sie befürchtete, dass hinter dem Projekt nicht ganz legale Mittel steckten. Es stand auf offenen Karten, dass sich die Industri e länder gegenseitig belauerten, wenn es darum ging, wie hungrige Tiger um die in der Antarktis verborgenen Bodenschätze zu streifen. Sie glaubte, dass wohl China die wenigsten Bedenken hätte, den Südpol umz u graben, um an Öl und andere wichtige Rohstoffe zu gelangen. In Afrika b e wies die Volksrepublik seit ein paar Jahren, dass man keine Rücksicht auf Mensch und Natur ne h men musste, um an die gewünschten Ziele zu gelangen. Selbst wenn dies mit Modernisierungshilfen verbunden war, so führte dies letztendlich zu nichts anderem als zum Kollaps der jeweiligen Länder. Denn wenn China die Ro h stoffe ausgebeutet hatte, würden die staa t lichen Konzerne unverrichteter Dinge abziehen und die Hilfen abwürgen.
Es hatte sie gewundert, dass ihr Vater von einer russischen Organis a tion gesprochen hatte. Sie hatte vermutet, dass die Gelder aus China stam m ten. Russland hatte in den 50er Jahren Interesse am Pol der Unzulän g lichkeit bekundet. 1957 gelangte eine sowjetische Expedition an diesen zen t ralen Punkt. Die Teilnehmer errichteten mehrere Holzbaracken und ve r brachten etwa vierzehn Tage damit, Daten über Geogra f ie und Klima zu sammeln. Nach diesen zwei Wochen kehrten sie unverrichteter Dinge in ihre sechshu n dert Kilometer entfernte Basis zurück. Die Holzbaracken, die gro ß spurig als Forschungsstation bezeichnet wurden, versanken im Schnee. Nach fünfzig Jahren machte sich eine unbekannte Organisation aus Russland an ihren V a ter heran, um ih n beim Bau einer hypermodernen Forschungsstation finanz i ell zu unterstützen. Ob die erste Expedition von derselben Organisation ins Leben gerufen worden war? Wenn dies den Tatsachen en t sprach, so stand Julia vor einem großen Fragezeichen. Dieses Rätsel schloss das Vorhaben ihres Vaters mit ein. Hatten die offiziellen wissenschaftlichen Aufgaben nur als Vorwand für eine ganz andere Tätigkeit gedient?
Julia setzte sich an den Schreibtisch. Antworten auf diese Fragen konnte sie nur erhalten, indem sie herausfand, wie der Code lautete, mit dessen Hilfe ihr Vater das Tor verriegelt hatte. Nachdem Kruger sie auf solch w i derwärtige Art und Weise dazu aufgefordert hatte, hatte sie sich daran g e macht, es mit ein paar Kombinationen zu versuchen, von denen sie meinte, dass ihr Vater diese durchaus in die engere Wahl gezogen haben könnte. Z u nächst hatte sie es mit ihrem Geburtsdatum probiert. Danach mit demjenigen ihres Vaters. Beides hatte zu nichts geführt. Mit etwas Widerwillen hatte sie das Geburt s datum ihrer Mutter eingegeben. Erleichtert hatte sie festgestellt, dass auch dieser Code nichts brachte.
Julia klappte den Laptop ihres Vaters auf und schaltete ihn ein. Es handelte sich um ein Gerät von Samsung, das sie ihm zu Weihachten geschenkt hatte. Schmerzhaft dachte sie daran, dass es das letzte Weihnachtsfest gewesen war, das sie miteinander verbracht hatten.
Das Hintergrundbild des Desktop s zeigte ein Foto von ihnen beiden. Sie saßen auf der Couch im Wohnzimmer ihres Hauses und kriegten sich kaum ein vor L achen. War es sie oder ihr Vater gewesen, der den Selbstauslöser eingestellt hatte? Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern. Sie wollte auch nicht weiter in ihren Erinnerungen kramen. Etwas a nderes zog ihre Aufmer k samkeit an sich.
Genau oberhalb ihrer vergnügten Gesichter hatte ihr Vater eine Videodatei abgelegt. Julia öffnete sie.
„Hallo, Julia.“ Sie blickte in das Gesicht ihres Vaters. Er sah überarbeitet aus. Ein weißer Bart bedeckte seine eingefallenen Wangen. Sein Haar war noch kurz geschoren. Er trug einen braunen Strickpullover. Sie ident i fizierte ihn als eines seiner Lieblingskleidungsstücke. Er nahm ihn immer mit, wenn er auf Reisen ging. Er hatte ihr einmal gesagt, dass er sich dadurch stets wie zu H ause fühlte. Mit Tränen in den Augen lehnte sie ihre rechte Hand gegen den Bildschirm und strich damit über sein Gesicht. „Hallo, Daddy“, sagte sie mit brüchiger Stimme.
„Wenn du dieses Video siehst, kann es sein, dass etwas Schlimmes gesch e
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